
Auf der dritten Regionalkonferenz in Sachsen-Anhalt wurde auf Grundlage des im März veröffentlichten Krankenhausgutachtens für das Bundesland diskutiert. Gibt es Erkenntnisse aus dem Gutachten, die Sie so nicht erwartet hatten?
Das Gutachten befasst sich vor allem mit dem Ist-Zustand der Gesundheitsversorgung in Sachsen-Anhalt und basiert auf der Datenlage von 2021. Seitdem hat sich tatsächlich Vieles getan, vor allem auch viel Positives. Wir haben durch die Pandemie neue Formen der Zusammenarbeit erprobt und dadurch eine Vertrauensbasis geschaffen, die uns heute zugutekommt. Aber natürlich ist es gut, ein solches offizielles Dokument zu haben, an dem man sich orientieren kann.
Inwiefern spiegelt sich das eventuell bereits in den Ergebnissen der Regionalkonferenz wider?
Vielleicht noch nicht in konkreten Ergebnissen, dafür ist es aber in der Tat auch noch zu früh. Bemerkenswert ist das gewachsene Vertrauen der Teilnehmenden untereinander, das sich nicht nur in der hohen Teilnehmerzahl widerspiegelt, sondern auch an den vielen unterschiedlichen Verantwortungsbereichen, aus denen diese gekommen sind.
Die Konferenz hat sich zu einem Dialogforum entwickelt, dass von dem gemeinsamen Verständnis getragen wird, Veränderung gemeinsam gestalten zu wollen und diesen Weg zusammen zu gehen. Ich rechne es unserer Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne hoch an, dass sie sich für die Veranstaltungen jeweils ganztägig Zeit genommen hat, unsere Beiträge und Diskussionen zu verfolgen und sich mit uns auszutauschen. Auch der Finanzminister, Michael Richter, hat sich bei dieser Regionalkonferenz Zeit genommen und ist in den direkten Dialog mit den Beteiligten der Gesundheitsversorgung getreten.
Welche spezielle Situation muss in Sachsen-Anhalt besondere Berücksichtigung finden und gibt es hierfür bereits akzeptable Lösungsvorschläge bzw. eine Diskussionsgrundlage?
Wir leben in Sachsen-Anhalt in einem Flächenland, das darüber hinaus auch noch sehr unterschiedlich besiedelt ist und dementsprechend eine größere Bandbreite an Versorgungsformen benötigt als dies bspw. im vielzitierten Nordrhein-Westfalen der Fall ist. Aus diesen Gründen sollte auf dem Rettungsdienst und der Notfallversorgung und -medizin ein besonderer Schwerpunkt liegen, ebenso aber auch auf den besonderen Anforderungen der unterschiedlichen Qualitätsebenen der regionalen Versorgung, die die Krankenhausreform bereits skizziert hat.
Kurzum: Wir brauchen ein gemeinsames Verständnis über eine völlig neue Gesamtstruktur. Daher bin ich bin sehr froh, dass wir, als Universitätsmedizin Halle in der Pandemie so viele neue, vertrauensvolle Kooperationen geschlossen haben, die heute eine sehr gute Grundlage bilden.
Zur Person

Prof. Dr. Thomas Moesta ist seit Oktober 2018 Ärztlicher Direktor und Vorsitzender des Klinikumsvorstands des Universitätsklinikums Halle (Saale). Zuvor war er Chefarzt der Viszeralchirurgie und anschließend Ärztlicher Direktor und Geschäftsführer der KRH Klinikum Region Hannover GmbH. Anfang 2023 erfolgte die vorzeitige Verlängerung seines Vertrages in Halle bis zum 30.09.2029.
Können Sie ein Beispiel nennen, welche Herausforderungen der Rettungsdienst in Zukunft anders meistern muss?
Die Krankenhausplanung sollte direkt mitgedacht werden, wenn wir über den Rettungsdienst sprechen. Wegezeiten-Berechnungen können nicht tabellarisch auf der politischen Ebene entschieden werden. Ein Beispiel: Die Behandlung eines Herzinfarkts setzt ein Katheterlabor voraus, dass 24/7 bereit sein muss, ein Schlaganfall sollte zwingend in einer Einrichtung mit spezialisierter Stroke Unit behandelt werden. Beide Fälle sollten von Mediziner*innen durchgeführt werden, die auf den jeweiligen Behandlungsfall spezialisiert sind. Diese personellen Kapazitäten kann nicht jedes Haus vorhalten.
Das heißt: Unter bestimmten Umständen kann es sich für den Rettungsdienst bzw. für die Patient*innen lohnen, 10 Minuten länger, über Landkreisgrenzen hinweg zu fahren, um eine optimale Behandlungen zu erhalten. Dies wiederum wirkt sich auf die weiteren Ebenen aus – und muss dann vor allem in der Vergütung berücksichtigt werden.
Ich verstehe: Alles hängt mit allem zusammen. Wie sieht hier eine mögliche Herangehensweise aus?
Wir müssen die Gesamtstruktur neu denken. Wie kann eine gestufte Versorgung aussehen, welche Ausstattung brauchen ambulante Zentren? Das durchzuspielen bietet sich an Szenarien wie Schlaganfall, Herzinfarkt, Polytrauma oder auch der Pädiatrie mit ihren besonderen Anforderungen an. Die Universitätsmedizin, in unserem Fall also Halle und Magdeburg, haben sich konkret angeboten, diese horizontale Qualitätsebene zu betrachten und Vorschläge zu einem qualitativ optimalen System zu entwickeln. Im Gegenzug hat sich die Landeskrankenhaus-Gesellschaft als Vermittlerin für die regionale Betrachtung angeboten, d.h. den trägerübergreifenden Dialog.
Digitalisierung ist kein Problem des Geldes, sondern viel mehr der Manpower.
Welche Rolle spielt in Ihrem Szenario die Digitalisierung, die m.E. Teil der Lösung ist?
(Moesta seufzt und lacht) Natürlich sind digitale Lösungen zur sektorenübergreifenden Versorgung für die notwendige Zusammenarbeit der Leistungserbringer nicht wegzudenken. Auch für die flächendeckenden Sicherung der wohnortnahen Versorgung bei hoher Behandlungsqualität braucht es den Einsatz digitaler Technologien. All das werden Treiber des Ausbaus telemedizinischer Angebote sein. Ein wichtiger Baustein ist auch eine Vergütungskomponente für die Telemedizin im Rettungsdienst. Doch die Geschichte hat zwei Gesichter. Im Grunde haben Sie recht und die Digitalisierung muss Teil der Lösung sein. Leider ist sie heute noch immer zu oft Teil des Problems. Und es ist kein Problem des Geldes, sondern viel mehr der Manpower. Daran wird sich erst einmal nichts ändern, deswegen müssen wir auch hier realistisch, pragmatisch und kreativ sein.
Hat hier das Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) Begehrlichkeiten geweckt, die nicht erfüllt werden können?
Sozusagen. Die regionale Vernetzung ist nun einmal kein Fördertatbestand, der mit einer Malus-Regelung versehen wurde und deswegen eher zweitrangig behandelt wird, auch wenn gerade Flächenländer davon profitierten. Wir haben in Sachsen-Anhalt den großen Vorteil, dass das Land vorausschauend einen Extra-Etat für die regionale Vernetzung der Gesundheitsversorger bereitstellt. Hier liegt ein erster Fokus in der Tat auf telemedizinischen Konsilen, den sicheren Austausch von Patientendaten und der Digitalisierung des Rettungsdienstes.
Wo sehen Sie in dieser neuen Gemengelage die Rolle der Universitätsmedizin in der Zukunft?
„Wir“ Universitätskliniken sind gestärkt aus der Corona-Zeit gekommen. Und das meine ich nicht monetär, sondern auf einer ganz anderen Ebene. Aus Sicht unserer Kooperationspartner haben wir den Elfenbeinturm verlassen und haben uns von einem Konkurrenten zu einem Kooperationspartner gewandelt. Wir wollen gar nicht alle Komplexleistungen machen. Wir haben als Universitätsklinikum und als Landesbetrieb perspektivisch viel mehr davon, mehrere Häuser zu Außergewöhnlichem zu befähigen. Im Sinne einer qualitativen, flächendeckenden medizinischen Versorgung der Bevölkerung, aber auch im Sinne eines attraktiven, flächendeckenden Arbeitgebers.
Diese neue Rolle wollen wir annehmen und definieren.
Die Universitätsklinken sind in diesem Sinne Staatsbetriebe, die nicht nur ihre eigenen Probleme lösen sollten, sondern in einer größeren Verantwortung dem Land gegenüber dienen. Und das sind in unserem Fall Projekte und Kooperationen, die die Probleme von Morgen angehen und vielleicht sogar lösen könnten. Diese neue Rolle wollen wir annehmen und definieren.
Wie ist es eigentlich für Sie, in einer solchen Zeit Ärztlicher Direktor zu sein? Hätten Sie sich eine andere Zeit für Ihr Schaffen gewünscht?
Nein, absolut nicht. Endlich tut sich was. Ich sehe das, was wir hier tun, als eine einmalige Chance an, in einer so dynamischen Zeit, gestalten zu können. Und das können wir. Die Lösungen liegen nicht alle auf dem Tisch, und ja, es wird auch Verlierer geben. Aber der Veränderungswille ist spürbar und das ist etwas, was wirklich auch an vielen Stellen Freude macht und Motivation bringt, für die Bürger*innen und Patient*innen das bestmögliche Szenario zu entwickeln.






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