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GKV-VersorgungsstärkungsgesetzEntlassmanagement − vom Underdog- zum Spitzenthema

Etwa 12 Prozent der Patienten brauchen nach ihrem Krankenhausaufenthalt weitere pflegerische Unterstützung oder medizinische Rehabilitation. Sie haben einen gesetzlichen Anspruch darauf, dass die Kliniken bei der Suche helfen. Ein Überblick zum unterschätzten Thema Entlassmanagement.

Eine Frau liegt im Pflegebett. Daneben steht eine Pflegekraft und dokumentiert.
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Symbolfoto

Der Gesetzgeber hat 2015 im GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (VSG) die Krankenhäuser in die Pflicht genommen, Entlassmanagement für gesetzlich Versicherte anzubieten. Mit dem GKV-VSG wurden aber auch die Möglichkeiten der Kliniken erweitert, patienten- und teilhabeorientierte Nachbehandlungen zu veranlassen und Leistungen zu verordnen, um die Nahtstelle zwischen stationärer Krankenhaus- und Anschlussbehandlung so reibungslos zu gestalten wie möglich.

Seit 2017 regelt der Rahmenvertrag Entlassmanagement den Geltungsbereich und die Leistungen. Im Fokus dabei steht immer, den Patientinnen und Patienten nicht nur bei der Aufnahme ins Krankenhaus, sondern auch bei der Entlassung und darüber hinaus bestens zu informieren und zu begleiten und damit die Patient Journey im Krankenhaus zu komplettieren. Entlassmanagement war also schon vor dem Krankenhauszukunftsgesetz (KHZG) ein Pflichtthema für Kliniken.

Herausforderungen: Demografischer Wandel und Ambulantisierung

Jeder gesetzlich Krankenversicherte hat also einen Anspruch auf ein adäquates Entlassmanagement. In 2021 gab es laut Destatis über 17 Millionen Patientenfälle in deutschen Kliniken. Etwa 12 Prozent der Krankenhaus-Patienten benötigen schon heute eine rehabilitative (7 Prozent) oder pflegerische Nachversorgung (5 Prozent). Das sind jährlich ca. 850 000 Patientinnen und Patienten, die diesen Anspruch nutzen. Tendenz steigend.

Entlassmanagement war also schon vor dem KHZG ein Pflichtthema für Kliniken.

Da Destatis die Daten der Krankenhäuser nach § 21 Krankenhausentgelt-Gesetz heranzieht, die in Bezug auf die Nachvollziehbarkeit von Entlassgründen kaum aussagefähig sind, dürfte die Grundgesamtheit vor allem für die pflegerische Nachversorgung schon jetzt größer sein als die genannten fünf Prozent. Zwei bekannte Trends machen den Nachsorgebedarf für Kliniken daher zu einer operativen Kernherausforderung: der demografische Wandel und die Ambulantisierung.

Der demografische Wandel und das damit steigende Durchschnittsalter der Krankenhausfälle führt automatisch dazu, dass immer mehr Patienten mit Komorbiditäten in den Kliniken behandelt werden und dadurch der Nachsorgebedarf steigen wird.

Entlassmanagement gewinnt an Bedeutung

Die gleichzeitig mit der Krankenhausreform vorangetriebene Ambulantisierung wird dazu führen, dass künftig leichtere Fälle ambulant behandelt werden und die Anzahl der komplexen Fälle mit entsprechendem Nachsorgebedarf in den Kliniken relativ gesehen steigen wird. Entlassmanagement gewinnt als Schnittstelle zwischen der ambulanten und stationären Versorgung in einem zunehmend digitalisierten Gesundheitswesen – und mit der Krankenhausreform – weiter an Bedeutung.

Dieses Feld ist bislang noch nicht sonderlich stark erforscht. Eine Studie aus den USA aus dem Jahr 2016 zeigt jedoch, dass die Ambulantisierung dort den relativen Anteil derer, die einen Nachsorgebedarf haben, auf mehr als 20 Prozent ansteigen ließ. Diese Entwicklung ist in ihrer Tendenz auch auf Deutschland übertragbar, meinen Experten. Eine Deloitte-Studie aus dem Jahr 2020 geht davon aus, dass die Zahl der Patienten mit postakutem Pflegebedarf nach dem Klinikaufenthalt im Schnitt um 8,2 Prozent pro Jahr steigen wird und bis 2030 mit einer Verdoppelung der Fälle mit pflegerischer Überleitung zu rechnen ist.

Betriebswirtschaftliche Sprengkraft

Vor diesem Hintergrund verwundert es, dass noch nicht alle Kliniken das Potenzial des Themas Entlassmanagement entdeckt haben. Ein Grund hierfür könnte darin liegen, dass der Sozialdienst abrechnungstechnisch keinen hohen Stellenwert im Krankenhaus hat, weil er normalerweise keine Erlöse generiert. Dabei ist erwiesen, dass ein gutes und rechtzeitig gestartetes Entlassmanagement – bei elektiven Eingriffen im besten Fall schon vor der eigentlichen Patientenaufnahme – maßgeblich dazu beitragen kann, die Verweildauer von Patienten mit Nachsorgebedarf zu optimieren. Zudem werden Wiederholungsuntersuchungen und sogenannte Drehtüreffekte reduziert, wenn die Patienten nach ihrer Entlassung nicht erneut wieder aufgenommen werden müssen.

Ein ineffizientes Entlassmanagement hingegen führt zu einer längeren Verweildauer und dadurch zu höheren Behandlungskosten. Verlängert sich die Verweildauer bei einem nicht optimalen Entlassprozess beispielsweise um vier Tage, kann ein schlechtes Entlassmanagement bei einer Klinik mit 1000 Betten jährlich mit 1,34 Millionen Euro Mehrkosten zu Buche schlagen. Ein Grund mehr, ein gutes digitales Entlassmanagement einzuführen. Kurzum: In diesem Thema steckt ein enormes Einsparpotenzial.

Eigener Markt: Entlassmanagement

Mit dem 2020 im Bundestag beschlossenen KHZG hat das Thema Entlassmanagement einen deutlichen Schub bekommen. Denn: Bund und Länder haben 4,3 Milliarden Euro Fördergelder zur Verfügung gestellt, um die Digitalisierung gleichermaßen finanziell zu untermauern wie voranzutreiben, aber auch verpflichtend einzufordern. Dazu gehört unter anderem das digitale Entlassmanagement. Die großen vier Anbieter Recare, Pflegeplatzmanager, Nubedian und auch Care-Bridge gab es als Plattform-Anbieter jedoch schon vor dem KHZG.

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Dem Entlassmanagement kommt nun mit dem KHZG eine eigene betriebswirtschaftliche Komponente zu. Das KHZG schreibt gesetzlich fest, dass alle Kliniken unter anderem zur Einführung eines Entlassmanagements verpflichtet sind, da sonst Abschläge von bis zu zwei Prozent des Umsatzes drohen können. Damit müsste das Thema Entlassmanagement als solches umso mehr in den Fokus der Kliniken rücken und als Segment innerhalb der Patient Journey im Krankenhaus immer wichtiger werden.

Die Realität sieht derzeit jedoch so aus: Nach wie vor bietet nicht jedes Krankenhaus ein digitales Entlass- beziehungsweise Überleitungsmanagement an. Zwar haben die Kliniken bis Ende des Jahres Zeit, KHZG-Ausschreibungen zu beenden und Verträge zu schließen, aber schätzungsweise 400 bis 500 der insgesamt knapp 1700 deutschen Krankenhäuser sind ein halbes Jahr vor der Deadline noch nicht an diesem Punkt.

Nun könnte es zu Schwierigkeiten kommen, wenn alle Kliniken, die noch keine Entlassmanagement-Lösung beauftragt haben, auf die letzten Meter parallel agieren, um bis Ende des Jahres die Verträge für eine Entlassmanagement-Plattform an den Start zu bringen – auch wenn ihnen für die Umsetzung am Ende noch zwei Jahre bleiben.

Entlassmanagement als Einzelleistung

Fernab von Spekulationen, wie viele Kliniken sich bezüglich des digitalen Entlassmanagements noch auf den Weg machen müssen, war es wichtig, das Thema an und für sich aus dem Schatten der Patientenportale zu holen. Dafür musste den Kliniken deutlich gemacht werden, dass das Ende der Patient Journey als Einzelleistung ausgeschrieben und beauftragt werden sollte.

Hierzu wurde eine Patientenportal-Ausschreibung eines bayerischen Krankenhauses im Rahmen des KHZG exemplarisch durchexerziert. Das Urteil der Vergabekammer Nordbayern: Der Tatbestand 2 c (Entlassmanagement) muss einzeln ausgeschrieben werden.

Entlassmanagement als B2B-Lösung

Viele Kliniken haben den Fördertatbestand 2 des KHZG komplett ausgeschrieben – also die drei Bausteine Aufnahme-, Behandlungs- und Entlassmanagement gemeinsam in einem Los. Das bedeutet, dass Kliniken unter Umständen auf die Einführung des digitalen Entlassmanagements warten müssen, obwohl sie längst davon profitieren könnten, und dass die Vergabe unter Umständen juristisch angreifbar wäre.

Auch wenn der Fördertatbestand 2c, der das Entlassmanagement beinhaltet, von Anfang an einzeln ausgeschrieben werden konnte, haben viele Krankenhäuser die Ausschreibung an einen Generalunternehmer (GU) vergeben, der als Hauptansprechpartner alles managt. „Nur weil unter dem Gesichtspunkt der Patient Journey die Patientenportale und das Entlassmanagement in einem Fördertatbestand des KHZG zusammengefasst wurden, müssen sie in der Ausschreibungsrealität nicht vermischt werden. Im Gegenteil sind beides voneinander getrennt zu betrachtende Dienstleistungen mit unterschiedlichen Zielsetzungen und vor allem unterschiedlichen Anwendergruppen, die daher getrennt vergeben werden sollten“, erklärt Maximilian Greschke, Gründer und CEO von Recare.

Recare als Anbieter für digitales Entlass- und Überleitungsmangement ließ daraufhin von der Vergabekammer Nordbayern an einem exemplarischen Fall die Vergabepraxis prüfen, ob Gesamtausschreibungen korrekt sind. Das Ergebnis war eindeutig: Es gibt einen eigenständigen Markt für das Entlassmanagement. Eine Gesamtvergabe aller drei Aspekte sei also rechtswidrig, argumentierte die Vergabekammer im vergangenen Sommer.

Kliniken sollen IT-Lösungen für das Entlassmanagement vergabetechnisch künftig als eigenes Fachlos betrachten. Dieser Fakt ist seit gut einem Jahr geklärt. Damit hat die Vergabekammer die unterschiedliche Zielsetzung und Anforderungen an eine Software zum Entlassmanagement in Abgrenzung zum Aufnahme- und Behandlungsmanagement offiziell bestätigt.

Entlass-Management Markt im Überblick
(redak. Hinweis: die Angaben stammen von den Anbietern selbst):

Recare

Das Unternehmen wurde vor sieben Jahren von Maximilian Greschke gegründet. Auslöser war für ihn die Konfrontation mit den Herausforderungen der Akut- und Nachversorgung und die Festellung, dass es einen hohen Bedarf an effizienteren Prozessen gibt.

Lange Zeit belegte der Pflegeplatzmanager Platz 2 unter den Entlassmanagement-Plattformen. Nach der Übernahme durch Recare im Juli 2023 folgte zum 1. Januar 2024 die Verschmelzung der Pflegeplatzmanager GmbH mit der Recare Deutschland GmbH. Eine Vollintegration des Pflegeplatzmanagers auf der Recare-Plattform soll bis zum Ende dieses Jahres abgeschlossen sein.

Der digitale Marktplatz zählt 700 Akutkliniken und 650 Reha-Kliniken sowie 24 000 weitere Nachversorger aus den Bereichen Pflege und Hilfsmittel/Homecare. Zahlreiche renommierte Klinikgruppen wie Vivantes, die Sana Kliniken AG und Universitätsklinika – wie etwa das Uniklinikum Essen – greifen beim Thema Entlassmanagement auf die Recare-Plattform zurück.

„Als innovativer Technologieanbieter ermöglichen wir die Überwindung von Sektorengrenzen und dadurch einfache und effiziente Entlass-Prozesse. IT-Sicherheit, Datenschutz und der kontinuierliche Ausbau unseres Netzwerkes stehen für uns an oberster Stelle, denn unsere Erfahrung zeigt, dass ein voller und aktiver Marktplatz entscheidend für gute Vermittlungskennzahlen und damit eine optimierte Verweildauer ist. Daher legen wir unseren Fokus seit vielen Jahren auf genau diesen Bereich“, erklärt Greschke.

Nubedian

Das Entlassmangement-System der Firma Nubedian heißt Caseform und ist seit 2018 auf dem Markt. Die Geschichte begann aber schon weit davor. Dr. Bruno Rosales Saurer und Mathias Schmon lernten sich 2010 am FZI Forschungszentrum Informatik kennen und arbeiteten in dem gemeinsamen Projekt Easycare daran, innovative Lösungen zu finden, um pflegende Angehörige zu entlasten.

Bereits nach kurzer Zeit war beiden klar, dass es in der Sozial- und Gesundheitsbranche einen enormen Unterstützungsbedarf gibt. So gründeten sie 2011 die Nubedian GmbH als Spin-Off des FZI Forschungszentrums Informatik. Heute vernetzen sich rund 200 Akutkrankenhäuser und etwa 200 Reha-Kliniken sowie 15 000 Nachversorger über die Plattform Caseform. Auch Nubedian kooperiert via Caseform mit renommierten Kliniken wie der Charité oder den Universitätskliniken Bonn, Münster, Freiburg und Mannheim.

„Mit unserer Entlass- und Überleitungsplattform Caseform bedienen wir unterschiedliche Krankenhäuser, unabhängig von Trägerschaft, Fachrichtung und Größe. Das Besondere beziehungsweise Einzigartige an Caseform ist die Verzahnung von Leistungsdokumentation, Formularmanagement sowie die Suche nach passenden Leistungserbringern in einer Oberfläche“, erklärt Geschäftsführer Mathias Schmon.

Dedalus

In 2022 hat Dedalus die Care-Bridge GmbH mehrheitlich übernommen. Diese Plattform war ursprünglich 2019 vom Asklepios Konzern als interne Lösung auf das GKV-VSG entwickelt worden. Der Portalcharakter der bis dahin gängigen Entlassmanagement-Systeme war für den Konzern wegen fehlender Prozessintegration in die KIS-Primärsysteme nicht optimal. Daher hat Asklepios sich kurzerhand selbst geholfen. Bereits nach kurzer Zeit wurde das System allen Asklepios-Akutkliniken zur Verfügung gestellt. Diese integrative Form des Entlassmanagement-Systems ist vor allem für Kliniken interessant, die das Orbis-KIS von Dedalus verwenden, da der Schwerpunkt dieser Plattform darin liegt, viele Daten aus dem Primärsystem prozessoptimiert zu übernehmen – ohne große Medienbrüche.

Derzeit haben sich rund 100 Klinikstandorte für die Dedalus-Lösung entschieden. Die Integration der Nachversorger erfolgt bei Care-Bridge nach einem projektorientierten Ansatz – wie bei Nubedian und Recare im übrigen auch. Sie gewinnen ein Krankenhaus für ihre Lösung, dann übernimmt die Care-Bridge GmbH das Onboarding und die Aufklärung der Nachversorger zur Prozessdigitalisierung. Das gewährleistet laut Dedalus eine sehr detaillierte Abfragemöglichkeit und führt zu einer hohen Kundenzufriedenheit auf beiden Seiten. Derzeit sind bundesweit mehrere Tausend Leistungserbringer auf der Dedalus-Plattform mit Leistungsprofilen gelistet. Die Tendenz ist jedoch kontinuierlich steigend, da die Anzahl der Leistungserbringer mit jedem Kunden wächst.

„Die Prozessintegration in den klinischen Workflow des Sozialdienstes und des Entlassmanagements sehen wir momentan als absoluten Mehrwert unserer Lösung an. Es ist wichtig, die Interessen aller beteiligten Akteure zu berücksichtigen und das Entlassmanagement als ganzheitlichen Prozess der Patientenversorgung zu begreifen. In Zukunft spielen natürlich Interoperabilität in die Systeme der Nachversorger oder in IOP-Plattformen eine maßgebliche Rolle. Hier ist aber leider noch oft technologisches Brachland auf der annehmenden Seite zu erkennen“, erklärt Lars Fehmer, Geschäftsführer der Care-Bridge GmbH.

Verbund Pflegehilfe

Auch der Entlass-Manager des Verbundes Pflegehilfe erfüllt laut Website des Verbundes alle Muss-Kriterien des KHZG-Fördertatbestands. Seit etwas über viereinhalb Jahren gibt es das Produkt, in dem sich knapp 300 Akut- und 20 Reha-Kliniken befinden. Der Verbund verfügt über ein großes Netzwerk an Leistungserbringern aufgrund seines Hauptgeschäftsfeldes, den Pflegeberatungsgesprächen.

Daher verwundert es nicht, dass sich in der digitalen Datenbank des Entlass-Managers 35 000 Nachversorger befinden. Die Software wird dabei in unterschiedlicher Form genutzt – die meisten der 270 Kliniken sind kleine Häuser und verwenden die kostenfreie Grundversion, nur wenige die Premiumversion. Die kostenpflichtige Version des Entlass-Managers nutzen derzeit 12 Kliniken. Wie intensiv die kostenfreie Lösung genutzt wird, lässt sich – zumindest auf den Social-Media-Kanälen – kaum nachvollziehen.

„Wir sind davon überzeugt, dass unser Beitrag zur Digitalisierung allen hart arbeitenden Menschen in der Pflegebranche die tägliche Arbeit vereinfachen wird. Deshalb investieren wir in den Ausbau des Entlass-Managers, und arbeiten täglich daran, unseren Beitrag für die Zukunft der Gesundheitsbranche zu leisten“, erklärt Johannes Haas, Gründer des Entlass-Managers.

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