
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen für Krankenhäuser bei der Umsetzung der Leistungsgruppen?
Dr. Arne Berndt: Derzeit wissen die meisten Krankenhäuser gar nicht genau, welche Leistungsgruppen sie künftig überhaupt erhalten werden. Sie können es gar nicht wissen, denn die Vergabe läuft in den Bundesländern – NRW einmal ausgenommen – ja gerade erst an. Das ist natürlich schwierig, denn ohne dieses Wissen ist eine verlässliche Wirtschaftsplanung eigentlich kaum möglich. Hinzu kommt: Viele Krankenhäuser haben noch kein richtiges Verständnis dafür entwickelt, in welche Leistungsgruppe die Leistung, die sie erbringen, eigentlich fällt. Gerade bei spezialisierten Bereichen wie Kardiologie oder Endoprothetik wird häufig angenommen, dass man viele Fälle hat. Aber bei genauer Analyse fallen viele dieser Leistungen dann doch in die allgemeineren Gruppen. Und es gibt weitere Unklarheiten: So stehen zum Beispiel die Mindestmengen für die verschiedenen Leistungsgruppen noch gar nicht fest. So können die Kliniken noch nicht wissen, ob sie mit ihrem Marktanteil in einem Segment eine realistische Chance haben, diese Leistungsgruppe vom Land zugeteilt zu bekommen. Parallel läuft aber die Wirtschaftsplanung für 2026 und Folgejahre in den Häusern an. Vorsichtig gesagt: Die Kliniken planen gerade gezwungener Maßen auf einem wackligen Fundament.
Die Situation ist also nicht nur komplex, sondern auch sehr zeitkritisch. Was ist jetzt besonders wichtig?
Dr. Sören Jensen: Der Zeitdruck ist enorm. Die Häuser müssen in den kommenden Monaten ihre Anträge stellen, wissen aber dann noch nicht, ob sie eine bestimmte Leistungsgruppe auch wirklich zugesprochen bekommen. Das Problem: Wenn die Entscheidung kommt – das wird vermutlich in vielen Bundesländern erst wenige Monate vorm Start der Umsetzung sein – müssen alle strukturellen Voraussetzungen der zugesprochenen Leistungsgruppen bereits erfüllt sein. Die Anforderungen an Personalausstattung und die technische Infrastruktur sind aber teilweise hoch. Für eine bestimmte Leistungsgruppe muss eine vorgegebene Anzahl an Fachärzten bereitgehalten werden; spezielle diagnostische Geräte müssen rund um die Uhr verfügbar sein. Wenn diese Voraussetzungen nicht erfüllt sind, lässt sich das nicht von heute auf morgen verändern. Denn gerade für die Gewinnung von Ärztinnen und Ärzten braucht man in Zeiten des Fachkräftemangels genug Vorlauf.
Berndt: Man darf auch nicht vergessen: Wer sich zu spät positioniert, riskiert, in einer wettbewerbsintensiven Region leer auszugehen. Es reicht nicht, einfach nur den Status quo zu beantragen. Man muss strategisch argumentieren, Perspektiven aufzeigen und eventuell auch mit anderen Häusern kooperieren.
Viele Unklarheiten und hoher Handlungsdruck. Wie kann man aus dieser Zwickmühle rauskommen?
Berndt: Ziel muss es sein, eine tragfähige Entscheidungsgrundlage zu schaffen. Im ersten Schritt sollte das Leistungsgeschehen analysiert und in das neue System übersetzt werden. Im Anschluss kann die künftige Entwicklung – unter Berücksichtigung von Demografie, Wettbewerbsumfeld und medizinischen Trends – simuliert werden. Daraus ergeben sich strategische Optionen, etwa wo es sinnvoll ist, sich zu fokussieren oder was man eventuell besser abgeben sollte.
Jensen: Zusätzlich sollten die Strukturvoraussetzungen geprüft werden. Welche Anforderungen sind bereits jetzt erfüllt, wo bestehen Lücken und was muss jetzt dringend angepackt werden? Speziell die Einordnung gegenüber anderen Versorgern mit Versorgungsgebiet ist ein wichtiger Aspekt. Eine weitere Möglichkeit sind Abstimmungen zwischen verschiedenen Versorgern, etwa im Rahmen von Regionalkonferenzen.
Ist eine solche Analyse für ein Krankenhaus sehr aufwändig?
Jensen: Gemessen an der Komplexität der anstehenden Entscheidungen hält sich der Aufwand für Geschäftsführung und Expertinnen und Experten in den Fachabteilungen tatsächlich in Grenzen. Wird ein Beratungsunternehmen hinzugezogen, arbeiten diese in der Regel auf Basis von Routinedaten (unter anderem Daten aus § 21 KHEntgG) und weiterer bereits verfügbarer Informationen. In diesen Tools ist die Leistungsgruppen-Logik bereits integriert. So können schnell valide Aussagen getroffen werden, die für die strategische Diskussion entscheidend sind. Ein paar Hausaufgaben kommen auf die Kliniken oft bei der Personalbetrachtung zu. Dazu muss die HR-Abteilung ihre eigenen Daten aufbereiten. Wie viele qualifizierte Fachärzte gibt es in den einzelnen Bereichen? Wer geht bald in Teilzeit oder Ruhestand? All das fließt in die Bewertung ein. Am Ende entsteht ein klares Bild: Welche Leistungsgruppen sind für das Krankenhaus realistisch? Welche Maßnahmen müssen dafür noch umgesetzt werden? Wie sieht dann das künftige medizinische Portfolio aus und wie die damit verbundene wirtschaftliche Prognose – sofern zukünftige Leistungsmengen geringer ausfallen werden?
Über Dr. Sören Jensen

Dr. Sören Jensen ist Partner bei der WMC Healthcare GmbH. Sein Beratungsschwerpunkt liegt in der strategischen Ausrichtung von Gesundheitseinrichtungen. Er verfügt über langjährige Berufs- und Beratungserfahrung im Gesundheitswesen, unter anderem in einem privaten Klinikkonzern. Zudem forschte und lehrte er an der Medizinischen Hochschule Hannover, parallel promovierte er dort zum Dr. Public Health.
Sie haben bereits einige Klienten in Nordrhein-Westfalen bei der Vergabe der Leistungsgruppen begleitet. Was können Krankenhäuser in anderen Bundesländern von diesen Erfahrungen jetzt mitnehmen?
Jensen: Die Einführung in NRW hat gezeigt, dass die Verteilung der Leistungsgruppen ein echtes Wettbewerbsthema ist. In der Endoprothetik zum Beispiel haben nur rund 40 Prozent der antragstellenden Häuser die von ihnen beantragte Leistungsgruppe tatsächlich zugesprochen bekommen. Das zeigt: Wer sich nicht rechtzeitig umfassend vorbereitet, geht unter Umständen leer aus.
Berndt: Wichtig ist auch die Erfahrung, dass man frühzeitig mit anderen Versorgern in der Region sprechen sollte. In NRW wurden viele Kooperationen erst in letzter Minute angestoßen – dabei wäre eine frühzeitige Abstimmung wirtschaftlich und versorgungstechnisch natürlich sinnvoll gewesen. Wir sehen aber in einigen Regionen schon, dass die Häuser anfangen, sich untereinander abzustimmen. Das ist sehr sinnvoll.
Über Dr. Arne Berndt

Dr. Arne Berndt ist Partner bei WMC Healthcare und promovierter Betriebswirt. Er verfügt über rund 20 Jahre Erfahrung als Manager und Berater im Gesundheitswesen. Vor seinem Wechsel zu WMC war er Geschäftsführer mehrerer Kliniken einer privaten Klinikgruppe und Berater in einer internationalen Strategieberatung mit Schwerpunkt auf Krankenkassen.
Welchen Rat würden Sie Klinikgeschäftsführerinnen und -führern geben, bei denen jetzt die Uhr für die Beantragung der Leistungsgruppen laut tickt?
Berndt: Die Ausgangslage ist so komplex und strategisch bedeutend, dass man sie allein und mit diesem Zeitdruck kaum überschauen kann. Wer jetzt die richtigen Weichen stellt, sichert seinem Haus eine gute Wettbewerbsposition innerhalb seiner Versorgungsregion. Und eines darf man dabei nicht vergessen: Nur wenn die Strategie steht, können die entsprechenden Fördermittel rechtzeitig beantragt werden. Denn Transformation verursacht Kosten. Der Krankenhaustransformationsfonds ist eine einmalige Chance, dringend notwendige, aber kostenintensive Strukturveränderungen mit Hilfe von Fördermitteln umzusetzen. Wer nicht rechtzeitig handelt, riskiert dagegen eine nicht schließbare Finanzierungslücke.









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