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Behandlungsfehlerbegutachtung151 Never Events in 2023 − MD fordert Meldepflicht

Der Medizinische Dienst (MD) verzeichnete 2023 über 12 000 Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern – doch die Dunkelziffer ist weitaus höher. In 25 Prozent der Fälle wurde ein Fehler bestätigt, der Patienten schadete. 75 Fälle endeten tödlich.

Ein Arzt sitzt nach einer OP verzweifelt auf einer Treppe.
WavebreakMediaMicro/stock.adobe.com
Symbolfoto

Deutschlandweit hat der Medizinische Dienst im vergangenen Jahr insgesamt 12 438 fachärztliche Gutachten zu vermuteten Behandlungsfehlern erstellt – eine geringfügig kleinere Zahl als in den Vorjahren. Wie aus der aktuellen Jahresstatistik zur Behandlungsfehlerbegutachtung hervorgeht, lag in jedem 4. Fall (3160 Fälle) ein Behandlungsfehler vor, durch den Patientinnen und Patienten zu Schaden gekommen sind. In jedem 5. Fall (2679 Fälle) war der Fehler ursächlich für den erlittenen Schaden. Für die Patienten ist diese Festestellung wichtig, denn: Nur wenn Kausalität vorliegt, haben sie Chance auf Schadensersatz.

Doch diese Zahlen repräsentieren nur einen kleinen Ausschnitt des tatsächlichen Geschehens. „Aus wissenschaftlichen Untersuchungen ist bekannt, dass die Dunkelziffer deutlich höher liegt: Fachleute gehen davon aus, dass es in etwa einem Prozent aller stationären Behandlungen zu Fehlern und vermeidbaren Schäden kommt“, erklärt Dr. Stefan Gronemeyer, der Vorstandsvorsitzende des Medizinischen Dienstes Bund. Das bedeute, dass jedes Jahr 168 000 Patientinnen und Patienten davon betroffen sind. Die Experten gehen von etwa 17 000 fehlerbedingten, vermeidbaren Todesfällen aus.

Zwei Drittel aller erhobenen Behandlungsfehlervorwürfe in der Jahresstatistik 2023 bezogen sich auf Leistungen in der stationären Versorgung, zumeist in Krankenhäusern (8 177 Fälle); die meisten Vorwürfe fokussieren sich laut Dr. Christine Adolph, Stellvertretende Vorstandsvorsitzende und Leitende Ärztin des Medizinischen Dienstes Bayern, auf operative Eingriffe, die zumeist in Krankenhäusern erfolgen. Ein Drittel trat im ambulanten Bereich auf (4 233 Fälle).

Dauerschäden bei etwa einem Drittel der Fälle

Wie sich die begutachteten Behandlungsfehler auf die verschiedenen Fachbereiche aufteilten:

  • 29,5 Prozent (3 665 Fälle): Orthopädie und Unfallchirurgie
  • 11,5 Prozent (1 426 Fälle): Innere Medizin und Allgemeinmedizin
  • 9,3 Prozent (1 156 Fälle): Zahnmedizin
  • 9 Prozent (1 119 Fälle): Frauenheilkunde und Geburtshilfe
  • 9 Prozent (1 118 Fälle): Allgemein- und Viszeralchirurgie
  • 5,8 Prozent (726 Fälle): Pflege
  • 26 Prozent (3 228 Fälle) in 29 weiteren Fachgebieten.

In der Jahresstatistik 2023 sind insgesamt 994 verschiedene Diagnosen erfasst. Die Vorwürfe betreffen fehlerhafte Behandlungen bei Hüft- und Kniegelenksverschleiß, Knochenbrüchen, Zahnwurzelbehandlungen, Druckgeschwüren und vieles mehr.

Allerdings handelt es sich hier nicht um repräsentative Zahlen, sondern lediglich um die Ergebnisse des Medizinischen Dienstes. Eine Häufung von Vorwürfen in einem Fachgebiet sage daher laut Dr. Adolph nichts über die allgemeine Sicherheit auf dem Gebiet aus, sondern zeige nur, dass Patientinnen und Patienten reagieren, wenn eine Behandlung nicht ihren Erwartungen entspricht. Beispielsweise erkennen sie Fehler bei Operationen leichter als etwa Medikationsfehler, sodass sich bei chirurgischen Eingriffen eine höhere Zahl ergibt.

65,5 Prozent erlitten vorübergehende Gesundheitsschäden, die eine Intervention oder einen Krankenhausaufenthalt notwendig machten. Die Betroffenen seien jedoch vollständig genesen. Bei 29,7 Prozent allerdings wurde ein Dauerschaden hervorgerufen. Die Medizinischen Dienste unterscheiden dann zwischen leichten (beispielsweise eine Narbe), mittleren (beispielsweise eine chronische Schmerzsymptomatik) und schweren Schäden (beispielsweise dauerhafte Lähmungen). In 2,8 Prozent (75 Fälle) führte ein Fehler zum Tod.

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Meldepflicht für höhere Patientensicherheit

In 2023 wurden 151 Fälle (2022: 165) als sogenannte Never Events eingestuft – Schadensereignisse, die sich auf keinen Fall ereignen dürften. Beispiele, die hierunter fallen sind schwerwiegende Medikationsfehler, unbeabsichtigt zurückgebliebene Fremdkörper nach OPs oder Verwechslungen von Patientinnen und Patienten, die zu schweren Schäden führen können.

Never Events sind für das Erkennen, Umsetzen und Bewerten von Sicherheitsmaßnahmen besonders wichtig und werden daher in vielen Ländern bereits für die Prävention erfolgreich genutzt. Auch der MD fordert eine Meldepflicht. In Deutschland steht eine Umsetzung jedoch nach wie vor aus. Es sei an der Politik, international anerkannte Konzepte zur systematischen Fehlervermeidung endlich in die Praxis zu bringen. Medizinische und pflegerische Einrichtungen, die solche Ereignisse an eine Vertrauensstelle melden, sollten sanktionsfrei bleiben und Informationen pseudonymisiert werden, so der Medizinische Dienst weiter.

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