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ForschungsprojektWenn das Charité-Auto den Puls misst

Geht es nach Charité und BMW, findet Prävention künftig zum Teil unterwegs statt. In einer Studie testen sie ein Diagnose-Auto, das bei den Fahrenden umfangreiche Gesundheitschecks durchführt – und im Notfall vorbeugend eingreift.

Studienfahrzeug von Charité und BMW
Maria Streltsova
Das Studienfahrzeug ist mit Sensoren ausgestattet, die unter anderem Vitalparameter erfassen.

Das Lenkrad misst die Herzfrequenz, eine Kamera checkt den Puls – kann ein Auto aktiver Gesundheitsbegleiter sein? Das Risiko für einen Herzinfarkt erkennen? Oder einen Schlaganfall frühzeitig voraussagen? Für Charité-Vorstandschef Prof. Dr. Heyo K. Kroemer ist das alles andere als abwegig. In einem neuen Forschungsprojekt mit dem Automobilhersteller BMW wollen Experten der Charité untersuchen, wie moderne Technik zur Prävention beitragen kann.

Die Studie wird wichtige Erkenntnisse für eine effektivere Notfallprävention liefern.

Im Zentrum steht ein spezieller Testwagen, der während der Fahrt mithilfe KI-basierter Fahrzeugsensorik zahlreiche Checks durchführen können soll, um so den Gesundheitszustand der Fahrenden zu erkennen. „Kooperationen wie diese sind entscheidend, um innovative Ansätze in der Gesundheitsforschung voranzubringen“, sagt Kroemer: „Die Ergebnisse unserer Studie werden wichtige Erkenntnisse für die Gesundheitsförderung und eine effektivere Notfallprävention liefern.“

Die beiden Partner setzen sich dafür ein, „dass Fahrzeuge nicht nur Transportmittel sind, sondern auch aktiv zur Gesundheitsförderung und zum Wohlbefinden der Menschen beitragen“, erklärt Dr. Rudolf Bencker, Senior Vice President Invention & Innovation bei BMW. Für die Studie wurde ein Fahrzeug mit zahlreichen Sensoren ausgestattet, die unter anderem Vitalparameter wie Hautleitfähigkeit, Herzfrequenz oder Atemfrequenz erfassen – teilweise ohne Körperkontakt. Diese ermöglichten eine standardisierte, fortlaufende und wiederholbare Erhebung medizinisch relevanter Daten unter Alltagsbedingungen, so die Charité.

Charité-Chef Prof. Dr. Heyo K. Kroemer (l.) und Dr. Rudolf Bencker
Maria Streltsova
Charité-Chef Prof. Dr. Heyo K. Kroemer (l.) und Dr. Rudolf Bencker von BMW mit dem Studienfahrzeug.

So misst etwa eine Kamera unter dem Rückspiegel Puls, Blutdruck und Atemrate. Ein Sensor am Gurt nimmt die Herztöne auf, und ein in das Lenkrad integriertes Elektrokardiogramm (EKG) misst die elektronischen Signale des Herzens. Das Auto soll sowohl in einem akuten Notfall reagieren können als auch frühzeitig warnen. Anders als bei klassischen Wearables müssen die Fahrenden dazu keine Geräte aktivieren, gemessen wird gewissermaßen automatisch. Zudem werden auch Faktoren wie Wetter, Fahrverhalten oder Stresslevel berücksichtigt.

Die Sensoren haben das Potenzial, eine fortschreitende Erkrankung zu verhindern.

„Wir wollen herausfinden, mit welchen Technologien gesundheitliche Auffälligkeiten im Fahrzeug am zuverlässigsten erkannt werden können“, fasst Dr. Alexander Meyer zusammen. Er ist Professor für Künstliche Intelligenz in der Medizin und Chief Medical Information Officer am Deutschen Herzzentrum der Charité. „Dazu prüfen wir die Validität und Qualität der erfassten Vitalparameter in unterschiedlichen Fahrzuständen“, ergänzt Dr. Matthias Franz, Projektleiter Automotive Health bei BMW. Dazu würden zum Beispiel die Daten der Fahrzeugsensoren mit denen verglichen, die hochwertige Standardgeräte der Herzmedizin liefern.

„Unser Ziel wäre, dass das Auto im Unfall nicht mehr reagieren muss, weil wir den kritischen Fall so weit im Vorfeld erkennen, dass es gar nicht dazu kommt“, sagt Franz. Einem Herzinfarkt könnten bestimmte Symptome vorausgehen, die zum Teil aber gar nicht oder nicht rechtzeitig auffielen, so Meyer. Die Sensoren im Auto hätten „das Potenzial, eine fortschreitende Erkrankung zu verhindern“. Denkbar sei zum Beispiel, dass im Falle von Auffälligkeiten ein Arzt informiert werde.

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An der Studie nehmen insgesamt 120 Probandinnen und Probanden ab einem Alter von 50 Jahren an. Ein Teil davon ist gesund, ein anderer Teil hat verschiedenen Krankheiten, darunter Teilnehmer mit leichter Herzinsuffizienz oder Herzrhythmusstörungen. Die ersten Versuche sind jetzt angelaufen, erste Ergebnisse werden Ende des Jahres erwartet.

Langfristiges Ziel soll sein, eine Reaktionskette einzubauen, die in einem akuten Notfall nicht nur eine Notbremsung einlegt, sondern auch die Rettungskräfte alarmiert und die gemessenen Gesundheitsdaten gleich mitsendet. In der Testphase werden die Daten in einem Hochleistungsrechner innerhalb des Autos gesammelt und an die Charité geschickt. Zu den Kosten äußerten sich die Beteiligten nicht.

Intelligente Frühwarnsysteme

Langfristig sollen auf Basis der Studie Systeme entwickelt werden, die auf gesundheitliche Veränderungen schon früh reagieren und rechtzeitig warnen können, so die Charité – beispielsweise bei Anzeichen von Erschöpfung oder sich anbahnenden kardiovaskulären Problemen. Auch neue Anwendungen wie telemedizinische Konsultationen oder ein kontinuierliches Monitoring von chronisch Kranken seien perspektivisch denkbar. „Durch die kontinuierliche und multimodale Erfassung von Gesundheitsdaten erhalten wir eine völlig neue Grundlage für die Entwicklung individueller Präventionsprogramme“, sagt Meyer, der auch Projektleiter Automotive Health an der Charité ist: „Wir könnten Risikoprofile deutlich präziser erfassen und daraus individualisierte Maßnahmen ableiten.“

Charité-Chef Kroemer wünscht sich das Gesundheitsversorgung dort ansetzt, wo die Menschen leben und arbeiten – und eben auch fahren. Die Kooperation zeige, „wie technologische Innovation und klinische Forschung Hand in Hand gehen können, um neue Antworten auf die Herausforderungen einer alternden Gesellschaft zu finden“, so Kroemer.

Fahrerzustandsüberwachung ist Pflicht

Schon heute können Autos erkennen, ob ein Fahrer einschläft oder das Bewusstsein verliert. Kameras registrieren die Bewegung der Augenlider, das Lenkrad erkennt, wenn es keinen Kontakt mit den Händen gibt. Der Wagen gibt dann Warnsignale an den Fahrer ab. In neuen Fahrzeugtypen ist eine Fahrerzustandsüberwachung sogar verpflichtend, sagt Kirstin Zeidler, Leiterin der Unfallforschung der Versicherer im GDV. „Ab 2026 muss jedes neu verkaufte Fahrzeug damit ausgestattet sein.“

Nach Angaben von Zeidler stehen in Deutschland etwa ein Prozent der Pkw-Unfälle im Zusammenhang mit gesundheitlichen Problemen. „Der Anteil bei den tödlichen Unfällen liegt bei etwa vier Prozent“, sagt sie. Die Daten beruhen auf der GDV-Unfalldatenbank der Versicherer. Dort werden seit rund 18 Jahren tiefergehende Informationen zu schweren Kfz-Haftpflicht-Unfällen mit Verletzten und Getöteten in Deutschland gesammelt.

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