
Weltweit sind 60 Millionen Patienten von Herzinsuffizienz betroffen. In Deutschland leiden laut des aktuellen Herzberichtes vier Millionen Menschen an jener Herzmuskelschwäche, mit etwa 500 000 Fällen pro Jahr ist sie die häufigste Ursache für Krankenhausaufenthalte und zählt zugleich zu den zehn häufigsten Todesursachen. Besonders bei schwerwiegenden Fällen mit einer geringen mittleren Lebenserwartung besteht ein dringender Bedarf an neuen Behandlungsmethoden.
Abhilfe könnte hier ein bisher weltweit einzigartiger Ansatz in der Herzmedizin schaffen, der derzeit von Medizinern der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) in Lübeck in der klinischen Studie „Biological Ventricular Assist Tissue in terminal Heart Failure“ (BioVAT-HF) untersucht wird.
Wiederaufbau von Herzmuskelzellen
Diese neuartige Behandlungsmethode bei Herzmuskelschwäche setzt am Grundproblem dieser Patienten an: Wenn etwa in Folge eines Herzinfarktes Herzmuskelzellen verloren gegangen sind, fehlen die zellulären Elemente, die zum Schlagen des Herzens beitragen. Der neue Ansatz wirkt wie aus einem Drehbuch für einen Science-Fiction-Film: Ein im Labor gezüchtetes Herzmuskelgewebe in Form eines Pflasters wird auf den geschwächten Herzmuskel aufgebracht, um das Herz dauerhaft durch den Wiederaufbau von Herzmuskelzellen zu stärken.
Das Herzpflaster ist bereits erfolgreich bei 15 Patienten mit sogenannter fortgeschrittener Herzmuskelschwäche zum Einsatz gekommen. In diesem letzten Stadium der Erkrankung, die in Deutschland jährlich rund 200 000 Menschen und weltweit rund sechs Millionen betrifft, liegt das Risiko, innerhalb eines Jahres zu versterben, bei rund 50 Prozent. „Bei diesem Patientenkollektiv gibt es aktuell eigentlich nur drei Optionen: Die eine ist die Herztransplantation, die zweite ist die Implantation von mechanischen Pumpsystemen – und die dritte ist die palliative Therapie“, so Prof. Dr. Wolfram-Hubertus Zimmermann, Direktor des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der UMG und Initiator sowie wissenschaftlicher Leiter der vorklinischen und klinischen Herzpflaster-Studien.
Allerdings finden in Deutschland Implantationen von mechanischen Pumpsystemen nur bei etwa 1000 Patienten pro Jahr statt, eine Herztransplantation sogar nur bei 300 Patienten. Unter schwerer Herzinsuffizienz im Endstadium leiden indes zehn Prozent aller Patienten mit Herzmuskelschwäche. Diese Therapiemaßnahmen finden damit bei weniger als einem Prozent der Patienten eine Anwendung. Diesem Manko begegnet die jahrzehntelange Forschungsarbeit von Zimmermann und seinem interdisziplinären Team.
Da jede Herzmuskelschwäche durch einen Verlust von Herzmuskelzellen bedingt ist, erschien ihnen die Implantation von Herzmuskelzellen als logischer Ansatz für eine neue Therapieform. Die Voraussetzung für die derzeit in ihrer zweiten Phase laufende BioVAT-HF-Studie war eine Simulation der klinischen Anwendung bei Rhesusaffen am Deutschen Primatenzentrum DPZ-Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen. Dabei konnten die Forschenden nachweisen, dass implantierte Herzpflaster, die aus 40 bis 200 Millionen Zellen bestehen, zu einer Verbesserung der Herzfunktion durch Herzmuskelaufbau führen. In der bereits erfolgreich abgeschlossenen ersten Phase der jetzigen klinischen BioVAT-Studie konnte die ideale Dosis für den Einsatz des künstlichen Herzmuskelgewebes am Menschen bereits ermittelt werden: Rund 800 Millionen künstliche Herzmuskelzellen sind für ein Herzpflaster nötig.
Herzpflaster aus iPS-Zellen
Das Herzpflaster selbst besteht aus speziellen Stammzellen, den sogenannten induzierten pluripotenten Zellen, kurz iPS-Zellen. Die Methode zur Gewinnung von iPS-Zellen entwickelte der japanische Stammzellenforscher Shin‘ya Yamanaka, der dafür 2012 den Nobelpreis für Medizin erhielt. Als pluripotent bezeichnet man Stammzellen, welche die Fähigkeit besitzen, sich zu Zellen der drei Keimblätter und der Keimbahn eines Organismus zu entwickeln. Sie kommen natürlicherweise nicht im Körper vor, sondern werden durch einen gentechnischen Trick hergestellt.
Dafür haben die Göttinger Forschenden eine Körperzelle im Labor zu einer iPS-Zelle umprogrammiert, die den natürlichen Stammzellen extrem ähnlich ist, so dass sie daraus Herzmuskelzellen gewinnen konnten. „Wir verwenden eben keine Stammzellen zur Herstellung des Gewebes, sondern wir verwenden Herzmuskelzellen und Bindegewebszellen, die wir aus Stammzellen gewonnen haben – das sind dann reine Zellpopulationen, ohne Stammzelleneigenschaften. Und daraus machen wir unsere Herzpflaster. Wir implantieren also keine einzige Stammzelle“, betont Zimmermann vor dem Hintergrund, dass Stammzellimplantate ein hohes Risiko für Tumorentwicklung mit sich bringen würden.
Wir implantieren keine einzige Stammzelle.
Dass die so gezüchteten Zellen mit dem Herzen verwachsen und neue Herzmuskulatur dauerhaft aufbauen, konnten die Forscher auch anhand einer jungen Patientin belegen, die im Verlauf der ersten BioVAT-Studienphase eine Herztransplantation erhielt. Da ihr eigenes Herz zuvor mit jenem Herzpflaster versehen wurde, konnte das derart reparierte Herz untersucht werden. „An ihrem Herzen war eindeutig festzustellen, dass wir über unseren Ansatz Herzmuskelgewebe aufbauen können“, so Zimmermann. In der Folge konnte die Dosis der implantierten Herzmuskelzellen auf 800 Millionen erhöht werden, dies entspricht in etwa der Herzmuskelzellmenge, die in Patienten mit Herzmuskelschwäche verloren gehen. Der erste Patient, dessen Herz ein Herzpflaster mit dieser idealen Stammzellendosis erhalten hat, war 2022 der Lübecker Rentner Frank Teege. Seine Herzleistung hat sich seitdem deutlich verbessert – von zehn Prozent kurz vor dem Eingriff auf circa 35 Prozent 12 Monate nach der Implantation. „Dass Herr Teege mit schwerster Herzmuskelschwäche durch die Herzpflaster-OP dermaßen profitiert hat, freut uns sehr und zeigt, dass wir auf dem richtigen Weg sind“, betont der Forscher.
Hintergrund Herzpflaster
Die Herzpflastertechnologie wurde durch Prof. Zimmermann und seine Forschungskollegen in über 30 Jahren vom ersten Modell in der Kulturschale bis in die klinische Anwendung entwickelt. Die Vorbereitung der klinischen BioVAT-HF-Studie erfolgte zwischen 2014 und 2021 in enger Abstimmung mit dem Paul-Ehrlich-Institut. Seit 2021 werden an der UMG und dem UKSH, Campus Lübeck, Patienten mit fortgeschrittener Herzmuskelschwäche behandelt. Diese erkrankten lebensbedrohlich, obwohl sie zuvor nach den modernen Leitlinien der medizinischen Versorgung behandelt wurden. Das Deutsche Zentrum für Herz-Kreislauf-Forschung (DZHK) hat gemeinsam mit der Repairon GmbH, einer Ausgründung aus der UMG, sowohl die vorklinische als auch klinische Prüfung unterstützt.
Nach Simulation im Rhesusaffen unter kliniknahen Bedingungen wurden bisher insgesamt 15 Patienten mit Herzmuskelzellen aus induzierten pluripotenten Stammzellen in Form sogenannter Engineered Heart Muscle (EHM) behandelt. Nach bereits abgeschlossener Dosisoptimierung werden Ende 2025 erste klinische Daten zur Anwendung von Herzpflastern aus 800 Millionen Herzmuskelzellen in Patienten mit schwerer Herzmuskelschwäche erwartet.
Muskelzellen eines jugendlichen Herzens
Das Herzpflaster wird dazu auf den Bereich des Herzens genäht, der nicht richtig pumpt. Ein solches Pflaster besteht zunächst aus Einzelimplantaten oder Patches mit etwa 40 Millionen Herzmuskelzellen. Im OP werden dann 20 dieser Präparate zusammengenäht und auf das Herz aufgebracht. „Das Herzpflaster deckt eine Fläche von etwa 100 Quadratzentimetern auf dem Herzen ab. Unsere Kollegen aus der Herzchirurgie eröffnen bei der Operation zunächst den Herzbeutel, sehen dann direkt auf das schlagende Herz und nähen die Implantate direkt auf die geschädigten Stellen des Herzens auf. Die OP dauert in etwa zwei Stunden. Wir gehen davon aus, dass erste therapeutische Effekte durch Unterstützung der Pumpkraft nach etwa drei Monaten zu beobachten sind“, so der Studienleiter. Die Zellen auf jenem Herzpflaster entsprechen dabei in etwa Herzmuskelzellen eines jugendlichen Herzens. Sie besitzen daher die Eigenschaft, auch zu wachsen. Aufgrund der Tatsache, dass diese Zellen nach Implantation im Patienten an Größe zunehmen, vermutet Zimmermann, dass deren Wachstumsprozess sogar Jahre andauern könnte.

Meilenstein für die regenerative Gewebemedizin
Noch ist das Herzpflaster aber keine zugelassene Therapie. Aktuell befindet sich die BioVAT-HF-Studie in der zweiten Phase – der sogenannten ersten Wirksamkeitsprüfung. Im Anschluss steht die Zulassungsstudie als Phase-III-Studie an. „Wir arbeiten darauf hin, in 2027 die Zulassungsstudie starten zu können. Und gegebenenfalls vorher schon in bestimmten Fällen unter einer sogenannten Krankenhausausnahmegenehmigung behandeln zu können“, so Prof. Zimmermann. Noch in diesem Jahr planen die Forscher 14 Patienten zu behandeln, im kommenden Jahr 20 und im Jahr darauf schon über 200. Stammzellforscher wie Prof. Dr. Frank Edenhofer von der Universität Innsbruck, der selbst an gezüchtetem Gewebe arbeitet, sprechen allerdings bereits jetzt schon von einem echten Meilenstein für die regenerative Gewebemedizin. Zimmermann selbst bleibt hier eher bescheiden und betont den großen Vorteil der neuartigen Therapie: „Keine einzige Behandlungsmethode der Welt konnte bisher Herzmuskelzellen wieder aufbauen.“
Hypoimmunogene Pflaster
Aufbauend auf der weltweit ersten klinischen Prüfung des Herzpflasters im Rahmen der BioVAT-HF-Studie arbeitet Wolfram-Hubertus Zimmermann im Rahmen des ebenfalls von ihm geleiteten „IndiHEART“-Projektes bereits an einer zweiten Generation von Herzpflastern. Hier wird ein Prozess für die automatisierte Herstellung von menschlichem Herzmuskelgewebe für die passgenaue Anwendung bei Patienten mit Herzmuskelschwäche entwickelt. Zum einen sollen hier sogenannte hypoimmunogene Herzpflaster entstehen, die nicht als körperfremd erkannt werden. Denn derzeit kann das Herzpflaster nur unter paralleler Gabe von Immunsuppressiva implantiert werden. Diese verhindern eine Abwehrreaktion des Immunsystems der Patienten.
Bei stark geschädigter Niere kann die Anwendung von Immunsuppressiva ausgeschlossen sein. „Der hypoimmunogene Ansatz soll helfen, die aktuelle Notwendigkeit der Anwendung von Immunsuppressiva bei der Therapie so weit wie möglich zu reduzieren“, führt Zimmermann aus. Ein solches Herzpflaster könne dann sogar in früheren Stadien der Herzmuskelschwäche zum Einsatz kommen.
Außerdem werden im Rahmen des Projekts personalisierte, individuell maßgeschneiderte Herzpflaster entwickelt. Mit Herzbildgebungsverfahren – Kernspintomographie, Computertomographie und Echokardiographie – werden hier durch Spritzgussverfahren spezielle Gussformen erstellt, in denen die Herzmuskelzellen heranwachsen können. Damit könnten Patienten dann ein für sie passgenaues Herzpflaster erhalten, das ihr Herz exakt dort unterstützt, wo ihre Herzmuskeln abgestorben sind. Dank der umfangreichen Erfahrungen in Sachen iPS-Zellen und dem weltweit einzigartigen Ansatz zum Herzmuskelaufbau besitzen die Forschungen an der UMG und des UKSH einen deutlichen Technologievorsprung. Immerhin gibt es in Europa keine andere Forschungsgruppe, die überhaupt ein induziertes pluripotentes Stammzellenprodukt in der klinischen Prüfung hat. In Zukunft könnte der neue Therapieansatz aus Deutschland daher durchaus auch bei anderen Krankheitsbildern zum Einsatz kommen. „Wir sind zuversichtlich, dass über die Anpassung unserer Technologien auch andere Organsysteme behandelt werden können“, betont Zimmermann.








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