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LichtblickUniklinik Tübingen denkt Kinderintensivmedizin neu

Ein neues Konzept in der Kinderintensivmedizin: In Tübingen wird Kindern ein schonender und familienorientierter Aufenthalt ermöglicht. Wie der stressige Klinikalltag gemildert und Eltern als wichtige Unterstützer Teil des Teams werden.

Kinderintensivstation
Universitätsklinikum Tübingen
Ein interdisziplinäres Team, aber auch Eltern spielen bei der Behandlung von Kindern auf der Intensivstation des Universitätsklinikums Tübingen eine wesentliche Rolle. Dadurch sollen Komplikationen vermieden werden.

Eine ganzheitliche, familienzentrierte Kinderintensivmedizin – kann das die neue Regel werden? Mitarbeitende der Kinderintensivstation des Universitätsklinikums Tübingen arbeiten seit 2013 daran, dies im Klinikalltag umzusetzen. Sie zählen damit zu den Vorreitern auf diesem Gebiet.

Es ist der lang gelebte Impuls, dass Kinder auf der Intensivstation schlafen sollten, weil man sie so vor den Eindrücken dort schützen möchte.

„Es ist der lang gelebte Impuls, dass Kinder auf der Intensivstation schlafen sollten, weil man sie so vor den Eindrücken dort schützen möchte“, erzählt Dr. Juliane Engel. Doch auch im vermeintlich tiefen Schlaf, dem künstlichen Koma, herbeigeführt durch Schlaf- und Schmerzmittel, nehmen Kinder ihre Umgebung wahr, können sich allerdings nicht äußern. Sie hören Geräusche, spüren, wenn sie behandelt werden. Befinden sie sich in einer für sie unbequemen Lage, können sie sich selbst nicht aus dieser befreien.

Diese Hilflosigkeit führt dazu, dass es ihnen schwerfällt, das Erlebte hinterher gut zu verarbeiten.

„Diese Hilflosigkeit führt dazu, dass es ihnen schwerfällt, das Erlebte hinterher gut zu verarbeiten. Dann kommen die Alpträume, Schlafstörungen und Konzentrationsstörungen, selbst wenn sie schon wieder zu Hause sind“, sagt die Stationsärztin. Dazu kommen langfristige Folgen wie posttraumatische Belastungsstörungen bei Eltern und Geschwistern. Als PICS – Post Intensive Care Syndrom – werden solche Komplikationen bei Kindern (PICS-p) und ihren Familien (PICS-F) bezeichnet.

Über die Rubrik "Lichtblick"

An dieser Stelle erzählen wir über Menschen und Projekte, die Versorgung anders denken und mit Herz gestalten.

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In Tübingen will man diese Komplikationen, die durch die Therapie auf Intensivstationen hervorgerufen werden können, reduzieren. Das Ziel: Patienten, die schmerzfrei und gleichzeitig so wach wie möglich sind. Dafür werden nicht nur medizinische Aspekte betrachtet, beispielsweise welche Kombination von Schmerz- und Schlafmitteln das Bewusstsein möglichst wenig einschränkt. Das Universitätsklinikum will auch einen neuen Standard etablieren: Statt ausschließlich auf Teams aus Ärzten und Pflegekräften zu setzen, werden weitere Berufsgruppen von Beginn an fest ins Team integriert. Physiotherapeuten kümmern sich um die Frühmobilisierung. Psychologen helfen Patienten und ihren Eltern dabei, die Situation zu bewältigen. Heilerziehungspfleger übernehmen die Betreuung von Kindern, wenn niemand aus der Familie anwesend sein kann.

Eltern informieren und ihre Position am Bett stärken

Aber vor allem ein Punkt ist zentral: „Wir wollen, dass die Eltern Teil unseres Teams werden, weil sie die engsten Bezugspersonen ihrer Kinder und das einzig Vertraute in dieser fremden Umgebung sind“, sagt Rebekka Reich, pflegerische Leiterin des Kinderintensiv-Projekts. Mit Blick auf die aktuelle Ausstattung von Kinderintensivstationen stellen wache Kinder durchaus eine personelle Herausforderung dar. Es braucht Ressourcen für ihre Betreuung. „Eltern zu informieren und ihre Position am Bett zu stärken ist anfangs zwar mit einem Mehraufwand verbunden. Aber sie ermöglichen es dem Fachpersonal am Ende, sich auf medizinisch komplexe Interventionen zu konzentrieren“, erklärt Juliane Engel. Wie wirksam die Maßnahmen des Tübinger Konzepts sind, wird nun wissenschaftlich untersucht – seit Oktober wird es vom Gemeinsamen Bundesausschuss gefördert und kommt in Tübingen, Heidelberg, Freiburg sowie Mannheim zum Einsatz.

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