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Mehr Zeit für PatientenDigital am Bett – UKSH befreit Pflege von Bürokratie

Papier war gestern: Am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein ist die Pflegedokumentation nahezu vollständig digitalisiert. Wie mobile Visitenwagen, smarte Sensorik und vernetzte Tools das Personal entlasten und was die Uniklinik noch vorhat.

Pflegefachkraft steht am Monitor
UKSH
Am UKSH kommen Spot-Monitore zum Einsatz, mit denen die Vitalparameter erfasst und direkt an das KIS übertragen werden.

Die Frühschicht ist in vollem Gange, doch auf einer operativen Station des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) – mit einem Campus in Kiel und einem in Lübeck – herrscht relative Stille. Keine Suche nach Patientenakten, keine knisternden Papierstapel, kein hektisches Gekritzel in Fieberkurven, kein Rufen nach Kollegen, weil man die Schrift nicht entziffern kann.

Pflegefachkraft Eva schiebt einen schlanken Visitenwagen mit großem Bildschirm über den Flur: keine Papierakten, sondern ein medizinischer PC auf Augenhöhe. Dieser digitale Visitenwagen ist schon lange der Arbeitsplatz auf Rädern von Eva und ihren Kolleginnen und Kollegen. Die Pflegedokumentation ist an beiden Campi nahezu komplett papierlos.

Ein weiteres Symbol für den Digitalisierungswillen des UKSH sind die Spot-Monitore, mit denen die Vitalparameter erfasst und direkt an das Krankenhausinformationssystem (KIS) übertragen werden. „Diese mobilen Monitore und eine leistungsfähige WLAN-Infrastruktur sorgen dafür, dass wichtige Daten genau dort eingegeben bzw. erfasst werden können, wo sie benötigt werden: direkt am Patientenbett“, erklärt Ilka Wächter, Pflegemanagerin für die operativen Normalpflegestationen am UKSH-Campus Kiel.

Die Digitalisierung ermöglicht uns Pflegenden, mehr Zeit für die direkte Betreuung der Patienten.

„Die Digitalisierung schafft schnellere Informationsflüsse und neue Arbeitsabläufe und ermöglicht uns Pflegenden, mehr Zeit für die direkte Betreuung der Patienten“, ergänzt Intensivpflegekraft Patrick Ehlers, der neben seiner Tätigkeit auf der Intensivstation im Pflegemanagement für den Bereich Digitalisierung zuständig ist.

Frau mit Mundschutz im Krankenhausbett tippt auf Monitor.
UKSH
Mit dem System Cliniserve ist die Kommunikation zwischen Pflegenden, Patienten, Servicekräften und Transportdienst einfacher.

Darüber hinaus arbeitet das UKSH mit pflegeentlastenden Lösungen von Cliniserve zusammen, die die Kommunikation der Pflegenden mit den stationären Patientinnen und Patienten, den Servicekräften und auch mit dem Transportdienst vereinfacht.

Die App „M-Dopa“ von Sqior, die am UKSH mitentwickelt wurde, unterstützt die verschiedenen Berufsgruppen im OP. „Damit werden die einzelnen OP-Prozessschritte und Patientenpfade besser und für alle nachvollziehbarer gestaltet“, erklärt Wächter ein weiteres Tool des UKSH. „So können beispielsweise alle Berufsgruppen den gegenwärtigen Prozessschritt in Echtzeit nachverfolgen und werden automatisiert durch den Ablauf geleitet“.

Sturzprophylaxe mit Sensor

Mit einer Schweizer Firma wird gerade am UKSH ein Projekt bezüglich Sturzprophylaxe mit Sensorik über dem Bett geplant. Ein Radarsensor erfasst dabei die Aktivität und Mobilität der Patientinnen und Patienten im gesamten Zimmer vollständig berührungslos und anonym. Über eine Software kann die Überwachung individuell angepasst werden, sodass bei Bedarf frühzeitig ein Alarm ausgelöst wird, um pflegerische Interventionen rechtzeitig zu ermöglichen. So wissen Pflegekräfte automatisch und rund um die Uhr, ob ein Patient gegebenenfalls Hilfe benötigt.

Um derartige Projekte erfolgreich umsetzen zu können, ist ein gemeinsames Handeln aller Beteiligten erforderlich. Die enge Zusammenarbeit aller Berufsgruppen und der IT bildet dabei einen zentralen Grundpfeiler für den Projekterfolg. Digitalisierung wird hier von den Pflegekräften als entlastend angesehen und die Führungsetage gibt den Mitarbeitenden viel Spielraum, um digitale Projekte umzusetzen.

Pflegekräfte offen für Digitalisierung

Nicht nur in Schleswig-Holstein sehen Pflegekräfte die Vorteile der Digitalisierung, die meisten Pflegekräfte sind mittlerweile offen für digitale Maßnahmen. Das offenbart auch eine nicht repräsentative Umfrage der „Initiative neue Qualität der Arbeit“ vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales.

Diese zeigt, dass professionell Pflegende – im Übrigen unabhängig vom Alter – dem Einsatz moderner Technik in der Pflege gegenüber vorwiegend positiv eingestellt sind: 87 Prozent der Befragten stehen diesem aufgeschlossen gegenüber, 71 Prozent sind sogar überzeugt von der Verbesserung von Sicherheit und Gesundheit durch den Einsatz von modernen Technologien.

Gerade im Bereich der elektronischen Patientendokumentation sehen die meisten einen Nutzen. Das können auch Wächter und Ehlers nachvollziehen. Denn ein großer Teil der Arbeit einer Pflegefachkraft besteht aus bürokratischen Aufgaben wie Dokumentation.

Spracherkennung: Die Lösung für Kliniken?

Um solche unliebsamen Aufgaben zu vereinfachen, kann Spracherkennung helfen. Ein erfolgreiches Forschungsprojekt zeigt: Durch den Einsatz von Spracherkennung und -steuerung in der Pflegedokumentation kann bis zu einem Drittel der Zeit eingespart werden, die bislang für die manuelle Eingabe anfällt.

Dieses zentrale Ergebnis des Forschungsprojekts „Sprint-Doku“ der Hamburger Fern-Hochschule (HFH) verspricht eine spürbare Entlastung für Pflegefachkräfte im Klinik- und Pflegealltag. „Mit dem Projekt wollen wir den Beschäftigten in der Pflegedokumentation wertvolle Zeit zurückgeben, die sie direkt für die Interaktion mit Patientinnen und Patienten beziehungsweise Bewohnerinnen und ­Bewohnern nutzen können“, erklärt HFH-Forschungskoordinator Heinrich Recken, der das Projekt zusammen mit HFH-Professor Wolfgang Becker leitete. Bei der Erprobung der zwei Schlüsseltechnologien – Deep Learning und sprecherunabhängige Spracherkennung – wurde schnell klar, dass Spracherkennung und -steuerung die Pflegenden entlaste. „Vor allem aber profitieren auch die Patientinnen und Patienten davon, wenn die Pflegenden weniger Zeit mit Verwaltungsaufgaben verbringen müssen“, resümiert Becker.

UKSH-App digitale OP-Prozesssteuerung
UKSH
Die App „M-Dopa“ von Sqior, die am UKSH mitentwickelt wurde, unterstützt die verschiedenen Berufsgruppen im OP.

Vision und Wirklichkeit im hohen Norden

Das hat auch das UKSH erkannt und befasst sich daher mit dem Thema Spracherkennung und -dokumentation intensiv. Für die Ärzteschaft und einige weitere Berufsgruppen wird derzeit eine konzernweite Lösung eingeführt – der Rollout wird bis Ende 2025 abgeschlossen sein. Die Resonanz in der Pilotphase mit 150 Ärztinnen und Ärzten ist durchgängig positiv und verspricht eine hohe Zeitersparnis. Auch für den Bereich Pflege soll das Potential einer solchen Lösung erhoben werden.

Ein Problem in der Profession Pflege ist die zeitnahe Dokumentation der Tätigkeiten. „In der Realität sieht es doch meist so aus, dass man sich im Nachgang, mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung, an die Dokumentation macht und versucht, alle Maßnahmen noch zu erinnern und ins System einzupflegen“, schildert Ehlers die momentane Wirklichkeit, die jede Pflegekraft kennt.

Die Vision des Pflegemanagements am UKSH ist es nun, die Kommunikation mit dem Patienten, die sowieso stattfindet, zu nutzen und „aus diesem natürlichen Gespräch schon viele Dokumentationsinhalte herauszufiltern“, erklärt Ehlers weiter. Dabei geht es dem engagierten Team am UKSH aber nicht nur darum, elektronisch die Tätigkeiten zu dokumentieren. Wünschenswert ist für ihn und seine Kolleginnen und Kollegen, dass das neu zu implementierende System „bereits in der alltäglichen Kommunikation mit dem Patienten Maßnahmen erkennt und diese dokumentiert“.

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Eine nachträgliche Kontrolle und eventuelle Revidierung der Maßnahme sei zwar weiterhin unerlässlich, dennoch solle das neue System alle relevanten Aspekte für den Pflegebericht erfassen und extrahieren. Wenn beispielsweise ein Patient abgesaugt und Sekret entfernt werde, mache es auch Sinn, wenn dies gleich dokumentiert werde und nicht im Nachgang händisch mit vielen Klicks in die Pflegedokumentation nachgetragen werden müsse.

Die Informationen sind derzeit schon alle da, die Systeme kommunizieren aber nicht miteinander.

Wächter ist stolz auf die „Revolution“, die ihr Krankenhaus hier gerade plant. „Bisher war es so, dass alles händisch aufgeschrieben oder in den PC dokumentiert werden musste. Wenn man das nicht mehr muss, sondern die KI und die Spracherkennung aus dem Gesprochenen heraus einen Großteil der Maßnahmen herausfiltert und man diese im Nachgang nur noch einmal überprüfen muss, dann hätten wir unser Ziel erreicht“, führt sie die Vision weiter aus.

Denn der Wunsch des Teams ist, dass „die Patienten optimal versorgt werden und alles miteinander kommuniziert“. Die Informationen seien derzeit schon alle da, die Systeme kommunizieren aber nicht miteinander.

Potenzial vernetzter, intelligenter Systeme

Ehlers eigene Vision skizziert er im Gespräch mit kma: „Ein Beispiel verdeutlicht das Potenzial vernetzter und intelligenter Systeme: Wird bei einem Patienten auf der Station ein niedriger Blutdruck gemessen, sollte das Krankenhausinformationssystem in der Lage sein, diesen Wert im Zusammenhang mit weiteren patientenbezogenen Daten wie der Medikation zu interpretieren. Auf dieser Grundlage könnten automatisiert Hinweise generiert werden, die Pflegekräfte und Ärztinnen unterstützen, um jederzeit eine optimale Therapie zu gewährleisten.“

Und genau da liegen dann auch die Hürden: Schnittstellenkompatibilität, Datenschutz etc.

Eine schöne Vision, die vielleicht auch irgendwann Wirklichkeit wird. Für den Moment sind sich Ehlers und Wächter einig: Es darf sich nicht nur um ein System mit reiner Spracherkennung handeln. „Es müssen zudem für die Systeme strukturierte Daten mithilfe von KI erkannt und herausgezogen werden. Und genau da liegen dann auch die Hürden: Schnittstellenkompatibilität, Datenschutz etc.“, erklärt der digital-affine Intensivpfleger. Das UKSH bereitet sich auf solche Fragestellungen bereits vor und führt die Daten aus verschiedenen Quellen systematisch zusammen, um KI-Systeme einsetzen zu können, die den Ärztinnen, Ärzten und Pflegenden wichtige Hinweise geben.

Es scheint ein hohes Potenzial in der Digitalisierung zu stecken, das nur noch gehoben werden muss. Hinzu kommt, dass die digitale Transformation immer ein Balanceakt ist – zwischen enormen Investitionskosten und zeitlichen Kapazitäten, strengen Datenschutzbestimmungen, Schnittstellenproblemen sowie der Sorge nach menschlicher Nähe und der erhofften Erleichterung.

Das UKSH ist – sowohl in der Pflege als auch in anderen Berufsgruppen – beim Thema Digitalisierung schon sehr weit. Es ist schön zu sehen, dass sich das Klinikum nicht darauf ausruht, sondern weiter groß denkt – für die Pflege und die Patienten.

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