
Es war eine so wohl noch nie gesehene Koalition, die sich vor dem Berliner Hauptbahnhof formiert hatte: Unterschiedlichste Krankenhausverbände, Gewerkschaften, Pflegevertreter und ein Landrat einträchtig auf einer Bühne – der gemeinsame Unmut über die Folgen der Inflation und die aus Sicht aller Beteiligten strukturelle Unterfinanzierung der deutschen Krankenhäuser macht es möglich. Alle stehen Seite an Seite bei der zentralen Kundgebung des bundesweiten Aktionstages „Krankenhäuser in Not“, die zu den Klängen von „I will survive“ von Gloria Gaynor und „Urgent“ von Foreigner beginnt.
Nur der Wettergott mochte das eindrucksvolle Bündnis nicht lange unterstützen: Als Dr. Josef Düllings seinen in den sozialen Medien schon viel beachteten Song „Save our hospitals“ sang, hatte sich ein Großteil der nach Polizeiangaben rund 500 Menschen starken Demonstrantenschar bereits unter das schützende Vordach des Bahnhofs zurückgezogen. „Wie die Politik lässt uns der Wettergott im Regen stehen“, kommentierte der Präsident des Verbands der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD).
Wir wollen keine Almosen und auch keine Rettungspakete.
Zuvor hatte Gerald Gaß zusammengefasst, was alle umtreibt, und von der Bundesregierung eine schnelle zusätzliche Finanzspritze gefordert: „Wir wollen keine Almosen und auch keine Rettungspakete, sondern die faire Anpassung der Erlöse an die gestiegenen Kosten“, sagte der Vorstandschef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG). Insbesondere die Inflation sorge für massive Kostenerhöhungen. Anstehende nötige Tarifsteigerungen würden die Situation verschärfen. Nur ein Gesetz, das der Krankenhausreform vorgeschaltet ist, könne helfen.

Damit die Politik erkenne, dass sie jetzt zu handeln habe, „müssen wir laut werden“, hatte Gaß gefordert – ein Wunsch, den ihm die Menge vor der Bühne mit ohrenbetäubendem Trillerpfeifen-Lärm und Applaus erfüllte. Es sei ein Skandal, wenn der Bundesgesundheitsminister erkläre, Deutschland stehe am Vorabend eines Krankenhaussterbens, aber er könne nichts dagegen tun. „Das ist ein Offenbarungseid der Politik, gegen den wir protestieren müssen“, so Gaß.
Protest in der gesamten Republik
Unter dem Motto „Krankenhäuser in Not“ demonstrieren Kliniken in der gesamten Republik. Da sie ihre Preise nicht anheben könnten, würden die Häuser bis Jahresende ein Defizit von zehn Milliarden Euro ansammeln, heißt es bei der DKG. Und die Entwicklung werde 2024 so dramatisch weitergehen. Aktuell dürften sich 20 bis 30 Prozent der Kliniken mit der Frage der Insolvenz befassen, hatte die Interessenvertretung bereits gewarnt.
Das Insolvenzrecht ist der falsche Weg, das Gesundheitssystem zukunftsfähig aufzustellen.
Für Christoph Radbruch ist genau das der Grund, Minister Karl Lauterbach eindringlich zu mahnen: „Das Insolvenzrecht ist der falsche Weg, das Gesundheitssystem zukunftsfähig aufzustellen“, erklärte der Vorsitzende des Deutschen Evangelischen Krankenhausverbandes (DEKV) vor dem Berliner Hauptbahnhof. Und auch Dr. Susanne Johna, Vorsitzende des Marburger Bundes, sah nicht nur mit Blick in den Himmel „Gewitterwolken auf uns zukommen“: „Eine Reform bringt nichts, wenn sie schlecht gemacht ist und über das Knie gebrochen wird.“ Andere Länder hätten es richtig gemacht und alle Beteiligten einbezogen. Für das deutsche Gesundheitssystem gelte noch immer, „come in and burn out“.
Mit den Kliniken stünden Hunderttausende Arbeitsplätze auf dem Spiel, hatte kurz zuvor Sylvia Bühler kritisiert. Verdi unterstütze den Protest mit voller Überzeugung, betonte das Bundesvorstandsmitglied der Gewerkschaft. Die Entscheidung über die Zukunft des Gesundheitssystems dürfe nicht dem Bundesfinanzminister überlassen bleiben, so Bühler: „Wir werden nicht zusehen, wie Krankenhäuser geschlossen werden, weil Herr Lindner kein Geld gibt.“
Pflegerische Berufsgruppen fordern Mitsprache
Scharfe Kritik kam auch vom Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands Deutscher Privatkliniken (BDPK): „Es fühlt sich an, als würden wir in Geiselhaft genommen“, erklärte Thomas Bublitz und forderte Lauterbach auf, „jetzt Verantwortung zu übernehmen und für eine faire Finanzierung zu sorgen“. Vorrednerin Jana Luntz hatte dem Minister da gerade schon vorgehalten, die Krankenhausreform ohne die Beteiligung der pflegerischen Berufsgruppen zu betreiben. „Das ist keine moderne Reform“, kritisierte Luntz, die Präsidiumsmitglied des Deutschen Pflegerates ist, und forderte die Möglichkeit zur Mitsprache und Mitgestaltung. „Pflegerische Versorgung ist Behandlungsqualität“, betonte die Pflegedirektorin des Universitätsklinikums Dresden und fügte kämpferisch hinzu: „Die Pflege ist kein Wanderzirkus.“

Die zentrale Kundgebung wurde von vielen Hundert Klinik-Beschäftigten verfolgt. Allein die Johannesstift Diakonie (JSD), die in Berlin acht Krankenhäuser betreibt, hatte rund 200 Mitarbeitende und Pflegeschüler mobilisiert. Einheitlich in grüne Kasacks gekleidet, teils zusätzlich mit grünen Hüten, waren sie unübersehbar. Auch JSD-Vorstand Medizin, Prof. Dr. Lutz Fritsche, tauschte Sakko gegen Kasack.
Ebenso markant präsent waren die Vertreter des Sankt Gertraudenkrankenhauses mit ihren großen gelben Regenschirmen sowie Gruppen von Vivantes, der Alexianer und der Friedrich von Bodelschwingh-Klinik Bethel. Große Gruppen stellten zudem die Immanuel Albertinen Diakonie, die Oberhavel Kliniken, das Jüdische Krankenhaus Berlin und das Krankenhaus Waldfriede Zehlendorf. Andere waren teils mit Bussen angereist, wie die Gruppe des brandenburgischen Elbe-Elster Klinikums, deren Mitglieder die drei Klinikstandorte in Herzberg, Finsterwalde und Elsterwerda vertraten.
Als dann nach gut einer Stunde alle Reden gehalten und viele der roten und grünen Speiseeis-Stangen aus den Kühltaschen mit der Aufschrift „Eiskalter Strukturwandel“ gelutscht waren, machten die Veranstalter auf der Bühne den Politik-Verantwortlichen noch ein Versprechen: „Wir werden im Herbst wieder da sein, wenn nichts passiert“ – und in Richtung von Karl Lauterbach: „Rechnen Sie nicht damit, dass wir aufhören zu protestieren – Sie können es nicht aussitzen.“







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