
Vor zwei Wochen haben die Konflikte zwischen den Regierungsparteien die Bundesregierung gesprengt. Jetzt können alle durchatmen und nach vorne schauen. Denn auch die Bevölkerung war maximal unzufrieden mit der Regierung. Wenig anders sieht es im Gesundheitssystem aus. Noch-Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach brauchte weniger als drei Jahre, um nahezu alle Interessengruppen gegen sich aufzubringen. Dabei waren seine durchgeführten Vorhaben wenig nachhaltig und haben die strukturellen Probleme der Gesundheitsversorgung nicht ansatzweise gelöst.
Strukturreformen in die Zukunft verlagert
Mit der überraschenden Ernennung des Gesundheitsministers im Dezember 2021 kündigte Lauterbach vollmundig große Reformen, gar Revolutionen, an. Jetzt würde alles umfassend besser und gerechter werden. Den zermürbten Pflegenden hat er starke Verbesserungen ihrer Arbeitssituation versprochen. Jetzt zeichnet sich ab, dass die soziale Pflegeversicherung zum Jahresanfang 2025 vor der Pleite steht. Eine nachhaltige Pflegereform wurde verschlafen. Nebenbei haben sich noch unzählige Pflegeheime in die Insolvenz verabschiedet. Bei der Cannabis-Legalisierung hat er sich nur um den ersten Teil gekümmert. Jetzt darf man ein Produkt konsumieren, das man nirgendwo legal kaufen kann. Ganz zu schweigen davon, dass eine zielführende Präventionskampagne bislang keiner gesehen hat.
Bei der Digitalisierung wurde das E-Rezept als Quantensprung gefeiert, obwohl wir in Deutschland lediglich zum internationalen Standard aufgeholt haben. Währenddessen wird der vollständige Rollout der elektronischen Patientenakte (ePA) nochmals verschoben. Zuletzt hatte insbesondere der niedergelassene Sektor die Dysfunktionalität der ePA heftig kritisiert. Es wäre auch interessant zu erfahren, ob inzwischen alle Gesundheitsämter digitalisiert sind und wir ein digitales Erfassungssystem von Infektionsdaten in Echtzeit haben. Schließlich war die Vorbereitung auf künftige Pandemien ein Kernversprechen des Gesundheitsministers.
Lauterbachs Meisterstück sollte die Krankenhausreform werden. Mit Hängen und Würgen hat er sie gerade so noch durch den Bundesrat bekommen. In der politischen Gemengelage hat das der Brandenburger Gesundheitsministerin ihren Job gekostet. In der Fachcommunity wird die Krankenhausreform bisweilen außerordentlich negativ aufgenommen. Echte strukturelle Probleme werden nicht gelöst. Hingegen gibt es eine Fülle neuer Vorgaben, die in einem ohnehin stark regulierten System die Komplexität weiter erhöhen. Eine kalte Marktbereinigung durch Klinikinsolvenzen wird dabei sehenden Auges in Kauf genommen.
Es ist Zeit für die Kettensäge
Die vergangenen Gesundheitsminister blieben bei der Reformierung des Gesundheitssystems weitestgehend erfolglos. Deutschland hat inzwischen eines der teuersten Gesundheitssysteme der Welt, bei allenfalls mittlerer Qualität. Der Zugang zu Leistungen und partielle Ungerechtigkeiten sind dabei noch gar nicht mitberücksichtigt. Die nächste Bundesregierung sollte sich ein Beispiel am argentinischen Präsidenten Javier Milei nehmen. Es ist Zeit für die Kettensäge! Nicht nur im Gesundheitswesen – aber besonders dort. Bürokratie und Regulierung müssen drastisch reduziert werden. Es müssen bessere Anreize geschaffen werden, die den Leistungserbringern neue Möglichkeiten schaffen und mehr Spielraum bei der Ausgestaltung bieten.
Als erstes sollte die Selbstverwaltung stark verschlankt oder direkt abgeschafft werden. Auf eine Leistungsplanung kann heute vollständig verzichtet werden. Das regelt der Markt. Neue Institutionen einer Selbstverwaltung sollten für die regionale Gesundheitsversorgung zuständig sein. Dort sollten dann alle Stakeholder berücksichtigt werden, beispielsweise auch Apotheken. Denn die brauchen möglicherweise auch neue Geschäftsmodelle. Ideen dafür gibt es ausreichend. Das SGB sollte zudem stark entschlackt werden. Die regionalen Instanzen können viel besser neue Versorgungs- und Vergütungskonzepte vereinbaren, als starre Regelungen im Gesetz es zulassen, die vielmehr Innovationen verhindern. Gute Pilotprojekte gab es ausreichend im Rahmen des Innovationsfonds. Wir müssen in Deutschland anerkennen, dass die regionalen Bedürfnisse der Versorgung sich stark unterscheiden. Eine One-size-fits-all-Gesetzgebung sowie auf Partikularinteressen fokussierte Institutionen bringen keinen Fortschritt, wie die vergangenen 20 Jahre gezeigt haben.
Mehr Eigenverantwortung wagen
Gesundheit und Pflege sind wertvolle Ressourcen. Das Preisschild wird in Zukunft noch höher ausfallen. Die Bevölkerung kann hier jedoch nicht aus der Verantwortung gelassen werden. Wir haben in Deutschland einen Überkonsum an Gesundheitsleistungen. Bei fast allen Ressourcen spielen wir im Spitzenfeld: Arztkontakte, Krankenhausbetten, Medikamentenverbrauch. Hingegen gibt es in Deutschland praktisch kein Selbstbeteiligungsparadigma im Solidarsystem, obwohl nahezu alle vergleichbaren Länder ihre Bevölkerung an den Gesundheitskosten beteiligen. In Deutschland startet dann sofort eine Gerechtigkeitsdiskussion. Dabei sind die Niederlande, Frankreich, Singapur oder Kanada nicht ungerechter als wir. Es wäre zudem auch denkbar, dass der Leistungskatalog etwas abgesenkt wird und einige Leistungen über private Zusatzversicherungen abgedeckt werden. Zumindest eine Debatte sollte darüber geführt werden (dürfen).
Auch müssen wir die Gesundheitskosten viel transparenter machen. Jeder und jede Versicherte sollte am Ende jedes Quartals und Jahres eine Aufstellung der selbst verursachten Kosten erhalten. Idealerweise per E-Mail oder via Push-Benachrichtigung in der ePA. Die Bevölkerung benötigt ein höheres Kostenbewusstsein. Wir sehen gerade bei der Langzeitpflege, dass es dort ein Defizit gibt. Alle wollen eine bessere Bezahlung der Pflegenden. Gleichzeitig hält die Mehrheit die Eigenanteile von Pflegeheimen für astronomisch hoch. Die Gesundheits- und Pflegeversorgung ist teuer. Deshalb müssen Politik und Gesellschaft jetzt in den Dialog gehen, um die Rahmenbedingungen für ein zukünftiges Gesundheitssystem auszuhandeln.
Wieviel Vorsorge sollte privat betrieben werden und was soll das Solidarsystem leisten? Das ist kein Thema für Fachkreise und Experten. Alle Menschen müssen daran beteiligt werden. Denn im Angesicht der relevanten Wählergruppen dürfen die Kosten nicht einseitig zulasten der erwerbstätigen und jüngeren Generation verteilt werden. Die individuellen Lebens- und Vorsorgeentwürfe sind heute so unterschiedlich, dass wir ein hohes Maß an Flexibilität und persönlichem Gestaltungsspielraum brauchen. Und selbstverständlich ein besonders hohes Maß an Eigenverantwortung.








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