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MeinungPflegeversicherung und GKV brauchen endlich Strukturreformen

Das Gesundheitssystem ist in seiner jetzigen Form nicht mehr tragbar. Insbesondere die Pflege wurde politisch heruntergewirtschaftet. Wie konnte es nur so weit kommen, fragt sich kma Gastautor Christian Krohne.

Christian Krohne
Michael Voigt
Christian Krohne ist Experte für Public Affairs und Public Relations. Er beschäftigt sich mit wirtschafts- und gesundheitspolitischen Fragen. Für den Verband der Alten- und Behindertenhilfe (VDAB e.V.) ist er als Referent für Presse und Öffentlichkeitsarbeit tätig.

Ein Bericht des RND ließ Deutschlands Versicherte aufhorchen: Die Pflegeversicherung ist finanziell so angeschlagen, dass bereits zu Februar des kommenden Jahres eine Zahlungsfähigkeit droht. Nur wenige Tage später folgte der nächste Schock: Der Schätzerkreis der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) empfiehlt im Zuge seiner Prognose über die Wirtschaftlichkeit der Krankenkassen für 2025 eine Anhebung des durchschnittlichen Zusatzbeitrages um 0,8 Prozentpunkte auf 2,5 Prozent.

Diese Nachrichten zeigen mehr denn je, dass das Gesundheitssystem in seiner jetzigen Form aus allen Nähten platzt. Es kann nur noch am Leben erhalten werden, indem ständig mehr Geld hineingepumpt wird.

Wie konnte es soweit kommen?

Interessanterweise sagte Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach (SPD) im Zuge der angekündigten Notwendigkeit der GKV-Beitragserhöhung selbst, dass das Gesundheitssystem in Deutschlands das teuerste in Europa sei. In vielen Bereichen sei es nicht effizient. Es besteht also kein Erkenntnisproblem, sondern ein Handlungsproblem. Und auch, wenn diese Entwicklungen bereits in den vergangenen Jahrzehnten ihren Lauf genommen haben, so führt Lauterbach das Bundesministerium für Gesundheit nun auch schon seit drei Jahren und hätte dringend benötigte Reformen längst anstoßen können. Dass im letzten Jahr der aktuellen Legislaturperiode noch eine Strukturreform kommt, die ihren Namen auch verdient, ist eher unwahrscheinlich.

Werfen wir einen Blick auf die Faktoren, die das Gesundheitswesen finanziell so aufblähen:

Die Kosten für Krankenhausbehandlung, ärztliche Behandlungen und Arzneimittel sind in den vergangenen zehn Jahren von rund 135 Milliarden Euro im Jahr 2013 auf zuletzt über 191 Milliarden Euro gestiegen. Das entspricht einem Plus von 42 Prozent. Besonders deutlich fällt der Anstieg in diesem Zeitraum bei Medikamenten aus (+50 Prozent). Ein weiterer Anstieg ist aus verschiedenen Gründen auch in den kommenden Jahren zu erwarten und das liegt nicht nur an den drei genannten Faktoren.

Dazu zählt, dass die GKV zunehmend auch für, gesamtgesellschaftliche Aufgaben verwendet werden. So seien allein zwischen 2016 und 2023 die Belastungen der GKV für die nicht von den Ländern übernommene Refinanzierung der Krankenhausinvestitionen um rund 45 Prozent von 2,6 Milliarden auf 3,8 Milliarden Euro gestiegen.

9,2 Milliarden Euro hätten die Kassen allein 2022 für die Bezuschussung von Grundsicherungsempfängern ausgeben müssen. Der Bundeszuschuss halte dabei mit dem Aufwuchs an Aufgaben nicht Schritt und sei dieses Jahr sogar auf 14,5 Milliarden Euro abgesenkt worden.

Wann kommt die Pflegefinanzreform?

Auch die Soziale Pflegeversicherung befindet sich in einer desolaten finanziellen Lage. Derzeit liegt ein Beitragssatz von 3,4 Prozent. Glaubt man Medienberichten, könnte dieser im kommenden Jahr um 0,25 bis 0,3 Prozentpunkte steigen, damit die finanziellen Defizite aufgefangen werden können.

Dass die Pflege sich auf wackeligen Beinen befindet, ist keine Neuigkeit. Die alternde Gesellschaft, gepaart mit einem sich seit Jahren verschärfenden Mangel an Pflegekräften führten dazu, dass sich die Situation verschärft. Dazu wird bereits seit Jahren sozialpolitisch die Erwartung forciert, dass sich Pflegeleistungen für Versicherte in Sachen Qualität und Quantität immer stärker ausweiten und trotzdem bezahlbar für den Einzelnen bleiben. Das kann jedoch schon jetzt nicht mehr flächendeckend gewährleistet werden. Die Folge sind eingeschränkte Leistungen in Form von steigenden Zahlen abgelehnter ambulanter Versorgungsleistungen und immer länger werdenden Warteplätzen in stationären Pflegeeinrichtungen.

Aber auch Pflegebedürftige und Pflegekassen erleben große Nachteile. Die Zuschüsse der Pflegeversicherung zu den Eigenanteilen in der stationären Pflege reichen längst nicht mehr aus, um diese zu kompensieren. Und so wird auch hier bemerkbar, dass der Pflegebereich an allen Ecken und Enden weder nachhaltig noch generationengerecht finanziert ist, sondern das aktuelle Finanzierungsmodell in der Pflege vorne und hinten nicht mehr den Ansprüchen genügt. Zeit, dass sich dies ändert und dass der finanzielle Druck aus dem System genommen wird.

Die Situation der Krankenhäuser

Etwas weiter ist vermeintlich der Krankenhausbereich. Gerade ist die Krankenhausreform als Lauterbachs Prestige-Projekt im Deutschen Bundestag beschlossen worden. In dieser werden zwar viele richtige Aspekte berücksichtigt, jedoch geben bereits die Bundesländer zu bedenken, dass sich die Reform in ihrer jetzigen Form als Fehler erweisen könnte. So warnte etwa die Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz der Länder, Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken, dass die Sicherung der Grund- und Notfallversorgung gerade im ländlichen Raum mit der vorliegenden Reform akut gefährdet sei. Unkontrollierte Klinik-Insolvenzen würden sich weiter fortsetzen.

Lauterbach sagte, mit der Reform werde die Behandlungsqualität in deutschen Krankenhäusern gesteigert und ein flächendeckendes Netz guter Kliniken im Land erhalten. „Gleichzeitig werden nicht notwendige Krankenhäuser abgebaut oder umgewandelt.“ Allerdings warnte er auch, dass die konkrete Umsetzung der Reform nicht „über Nacht“ geschehen, sondern über mehrere Jahre erfolgen werde.

Pflegeunternehmen tragen Schaden davon

Um die Versorgungssicherheit in der professionellen Pflege nachhaltig zu sichern, müssen die vorhandenen finanziellen und personellen Ressourcen möglichst effizient eingesetzt werden. Zuerst müssen jedoch die finanziellen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Pflegeunternehmen deutlich optimiert werden. Derzeit sind Pflegeeinrichtungen von A bis Z durchreguliert – das nimmt Betreibern die Luft, Lösungen zu finden, die kosteneffizient und innovativ sind. Wenn ihnen also endlich wieder mehr unternehmerische Freiheiten und Gestaltungsspielräume ermöglicht werden, profitiert die Allgemeinheit davon. Gesetzgeber und Kassen sind dringend aufgerufen, alle Struktur- und Bürokratievorgaben im Hinblick auf ihre Notwendigkeit und ihre Auswirkungen auf die Kosten zu prüfen und konsequent zu reduzieren. Ähnliches gilt auch in den meisten anderen Bereichen des Gesundheitswesens.

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Was muss nun passieren?

Damit sich nachhaltig etwas verändert, muss jeder Stein im Gesundheitswesen umgedreht und auf den Prüfstand gestellt werden. Die beste Option für die Zukunft ist der Einstieg in eine echte Strukturreform, an deren Gestaltung sich Kassen, Leistungserbringer und letztlich auch die Gesellschaft auf Augenhöhe mit der Politik beteiligen können.

Sozialpolitische Versprechen nach immer mehr Versorgungsleistungen, ohne maßgebliche Kostensteigerungen oder Qualitätseinbußen werden künftig nicht mehr möglich sein, sondern es sollte stattdessen darum gehen, wie professionelle Pflegeleistungen effizient und flächendeckend gewährleistet werden können.

In Bezug auf die Pflege ist etwa denkbar, dass im stationären Bereich die Rundum-Versorgung abgespeckt und eine Entbürokratisierung des Leistungs- und Ordnungsrechts vorgenommen wird. Dadurch hätten auch Pflegebedürftige mehr Wahlmöglichkeit und Selbstbestimmung. Eine solche Deregulierung sollte konsequenterweise so weit gehen, dass etwa auch die Frage nach Art und Umfang des Personaleinsatzes zurück in die fachliche Verantwortung des Trägers gelangt, der ohnehin die Haftung trägt.

Wer mehr Kosteneffizienz im System fordert, muss sich unvermeidbar dafür aussprechen, dass Pflegeeinrichtungen mehr unternehmerische Gestaltungsfreiheit eingeräumt werden. Ändert sich daran nichts, wird sich die Versorgungslücke für Pflegebedürftige weiter vergrößern, und auch die Kosten, die von der Allgemeinheit getragen werden, dürften künftig sogar noch weiter steigen.

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