Es gibt immer mehr Stimmen im Gesundheitswesen, die Corona dazu missbrauchen, sich selbst und anderen falsche Hoffnungen in Bezug auf den Sieg über der Fachkräftemangel zu machen. Ihre simplifizierende Logik lautet: Viele Branchen sind angeschlagen, voraussichtlich mindestens mittelfristig. Je mehr Arbeitslose es darin gibt, umso mehr Arbeitsuchende werden perspektivisch versuchen, in vermeintlich krisensicheren Branchen angestellt zu werden.
Gefährliches Spiel
Wer so argumentiert, betreibt ein gefährliches Spiel. Denn zum einen hat auch das Gesundheitswesen nicht unbegrenzt Platz. Nun könnte man sagen aus mehr Quantität an Bewerbermasse könne man mehr Qualität herausfiltern. Doch die meisten Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Co. haben gar keine adäquate qualitative Betrachtung ihrer Anforderungen – und ticken eher nach dem „Viel hilft viel“-Motto, sprich: Mehr Bewerber gleich besseres Ergebnis. Zum anderen arbeiten im Gesundheitswesen zu einem enormen Prozentsatz hoch- bis höchstqualifizierte Menschen, deren Beruf man nicht mal eben in einer mehrwöchigen Umschulung erlernen kann. Die Argumentation greift also nicht nur zu kurz, sondern stellt – wenn auch hoffentlich ungewollt – das Gesundheitswesen indirekt so dar, als seien die dazugehörigen Jobprofile mir nichts, dir nichts leistbar. So würde es nie zu einer Aufwertung eben jener Profile im gesellschaftlichen Kontext kommen. Um die ringen wir aber seit Jahr und Tag.
Unwissenheit und Faulheit
Warum argumentieren manche so? Unwissenheit und Faulheit, anders lässt sich das nicht erklären. Unwissenheit in Bezug auf die Marktmechanismen und erforderliche Maßnahmen in Bezug auf Recruiting, Personalmarketing und Employer Branding. Die meisten Personalabteilungen in Krankenhäusern beispielsweise haben nicht mal eine Personalbedarfsplanung, leben also bei der Personalplanung und -suche von der Hand in den Mund. Faulheit wiederum in Bezug darauf, seit jeher um die sich zuspitzende Situation zu wissen, ohne auch nur einen Deut daran verändert zu haben.
Schwarzmalerei? Gelebte Überzeugung in vielen Organisationen. Wie sonst will man erklären, dass sich die Rekrutierungsrealität der meisten Gesundheitseinrichtungen weiterhin auf die Schaltung von Stellenanzeigen beschränkt – deren einzige Beständigkeit ist, dass sie dauerhaft ohne nennenswerten Outcome sind. Und wenn dann etliche Wochen lang nichts passiert ist, soll der Headhunter den Zauberstab rausholen und es rausreißen. Doch was sollen Headhunter Kandidaten verkaufen, wenn die Organisationen nicht mal anständiges Futter für ihre eigenen Kanäle erarbeitet haben? Dabei geht es längst nicht mehr nur um Pflegekräfte und Ärzte, sondern eben auch um die Besetzung von Verwaltungspositionen und Schlüsselfunktionen, die nur allzu oft als Beiwerk gesehen werden.
Gymnastikball statt Schlafsessel
Corona wird im Gesundheitswesen nicht dazu führen, dass wir uns zurück zu einem Arbeitgebermarkt entwickeln – wenn wir überhaupt mal einer waren. Wer sich also schon Kissen in den alten Schlafsessel geworfen und Grimms Märchen bereitgelegt hatte, sollte lieber vorsichtig sein. Ein Gymnastikball und Lektüre über Performance Marketing, Remote Recruiting, digitales Onboarding und die Arbeit von Morgen wären die passendere Alternative.



Bitte loggen Sie sich ein, um einen neuen Kommentar zu verfassen oder einen bestehenden Kommentar zu melden.
Jetzt einloggen