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Der kma Entscheider-Blog

TerminologiesystemeWarum die medizinische Fachsprache zum Problem wird

Je weiter die Digitalisierung voranschreitet, desto mehr wird die medizinische Fachsprache und ihre Mehrdeutigkeit zum Problem. „Wir sollten uns sputen, Terminologien im Gesundheitswesen zu etablieren“, fordert deshalb kma Gastautor Norbert Neumann. 

Medizin
Foto: Pixabay
Norbert Neumann, Cerner Deutschland
Foto: Cerner
Norbert Neumann (48) ist gelernter Arzt, arbeitete nach betriebswirtschaftlicher Weiterbildung als Medizincontroller in verschiedenen Kliniken und ist heute für Cerner tätig. Das Unternehmen ist einer der weltweit größten Hersteller von Krankenhausinformationssystemen.

Mein Lieblingsautor Antoine de Saint-Exupéry fasste es unübertroffen zusammen: „Die Sprache ist eine Quelle von Missverständnissen.“ Das ist einerseits traurig, soll Sprache doch eine Kommunikation ermöglichen, andererseits aber leider auch sehr wahr. Insbesondere in der Medizin. Der ein oder andere Kollege mag ähnliche „Aha“-Erlebnisse beim Studium von Befundberichten gehabt haben, wie ich in meiner Assistenzzeit und als Truppenarzt bei der Bundeswehr. Fachärztliche Kollegen sind teilweise recht erfinderisch beim Verklausulieren von Befunden. Und geradezu abenteuerlich wird es, wenn Abkürzungen ins Spiel kommen. Der Klassiker ist das Kürzel „HWI“ dessen Bedeutung von „Harnwegsinfekt“ bis zum „Infarkt der Herzhinterwand“ reichen kann.

Was in der ärztlichen Praxis meist nur lästig ist (in der Regel ergibt sich ja aus dem Kontext, ob der Patient jetzt besser mit Antibiotika oder einer Koronarsportgruppe bedient ist), wird im Zusammenhang mit elektronischem Datenaustausch zum Alptraum. Es mag in der aktuellen Ausbauphase der digitalen Infrastruktur noch nicht akut auffallen, aber spätestens mit dem Aufbau einer Telematik-Infrastruktur, wie sie im E-Health-Gesetz für 2018 geplant ist, werden Doppelbedeutungen oder unterschiedliche Bezeichnungen für ein und denselben Zustand oder die gleiche Erkrankung problematisch.

Warum ist das so? Auch wenn die Medizin – wie jede Wissenschaft – für sich in Anspruch nimmt, eine exakte Terminologie zu nutzen, ist dem in der Praxis eben nicht so. Ärzte oder Medizincontroller, die mit DRG-Verschlüsselung zu tun haben (also so ziemlich jeder), kennen das Problem, den richtigen Code für eine Erkrankung zu finden. Ein Beispiel: Als ich in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts als Assistenzarzt eine Exostose der Kleinzehe als ICD verschlüsseln musste, brauchte ich eine gute halbe Stunde, um herauszufinden, dass der korrekte Schlüssel unter „gutartige Wucherung der kurzen Knochen der unteren Extremität“ hinterlegt war. Einige Jahre später kamen semantische Netzwerke auf, die für unterschiedliche Bezeichnungen (eben „Exostose der Kleinzehe“, „Knochenwucherung des Digitus Pedis V“ oder „Knochenwulst am kleinen Zeh“) einen einheitlichen Begriff oder Code definieren.

Komplexes Problem: Augen verschließen hilft nicht!

Was sich bei der Dokumentation von Diagnosen und Prozeduren zum Zweck der Abrechnung bereits bewährt hat, fehlt aber in der allgemeinen medizinischen Dokumentation. Bisher fällt das noch nicht unangenehm auf, denn in weiten Bereichen werden noch Papierbefunde und -Briefe hin- und hergeschickt. Wenige Krankenhäuser sind bereits so digitalisiert, dass sie in der Lage sind, die medizinische Dokumentation aus unterschiedlichen Fachabteilungen in ihrer Breite über eine bloße digitale Kommunikation hinaus zu nutzen. Spätestens aber, wenn man in größeren Dimensionen und etwas weiterdenkt, erkennt man das Problem, das auf uns zurollt: Die bisher allgemein in Deutschland genutzten Kodiersysteme sind entweder speziell auf Diagnosen (ICD) oder Prozeduren (OPS) ausgerichtet, wobei der OPS nur abrechnungsrelevante Eingriffe abbildet, viele andere, die aber in der täglichen Routine relevant sind, nicht. Man mag einwenden, dass man mit dem ICPM (International Classification of Procedures in Medicine, eine Klassifikation medizinischer Prozeduren, von der WHO erstmals 1978 veröffentlicht) ein Terminologiesystem gibt, das auch diese Lücke stopft. Aber damit hätte man drei unterschiedliche Systeme an der Hand, mit denen wiederum eine komplette medizinische Dokumentation abgebildet werden müsste, die aus mehr als nur Diagnosen oder Therapien besteht – man denke an Laboruntersuchungen, für die ebenfalls ein eigenes System existiert (LOINC, Logical Observation Identifiers Names and Codes) .

Lesen Sie, ob "Snomed" eine Lösung sein könnte und was das E-Health-Gesetz mit der Problematik zu tun hat im kma guide conhIT, der am 12. April in der Ausgabe 4/17 erscheint oder digital auf der Thieme Zeitschriftenplattform Thieme Connect.

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