Im ersten Quartal 2020 wurde bekannt, dass der private Klinikkonzern Asklepios aus Hamburg, die in Bad Neustadt an der Saale ansässige Rhön Klinikum AG mehrheitlich übernehmen will. Im Zuge dessen ist ein Streit der Anteilseigner um den Pharma- und Medizinbedarfanbieter B.Braun und dem Hauptaktionär Asklepios entbrannt. Auf der Anfang Juni stattgefundenen außerordentliche Hauptversammlung konnte B.Braun seine Vorstellungen einer außerplanmäßigen Ausschüttung nicht durchsetzen und wird damit das Übernahmeangebot der Hamburger annehmen. Damit könnte der Übernahmekampf vorerst erledigt sein. Vorstandschef Stephan Holzinger war in den letzten Wochen bemüht, den Streit zu schlichten und wurde dabei selbst zum Opfer der Übernahmequerelen. Er wird das Unternehmen mit sofortiger Wirkung verlassen.
Wie Gefährlich ist eine Stakeholder-Krise?
Jeder der sich mit Krisensituationen in Unternehmen beschäftigt weiß, dass es mit Auseinandersetzungen bei den Stakeholdern beginnt. Die Bandbreite der Stakeholder kann dabei von Kunden, über Lieferanten oder Kreditgeber, bis hin zur Belegschaft reichen. Häufig entstehen Stakeholder-Krisen jedoch auch unter den Anteilseignern. Gerade in Familienunternehmen ist dies weit verbreitet. Kann eine Stakeholder-Krise nicht beigelegt werden, wird sie über kurz oder lang zu einer handfesten Strategiekrise führen. Dies konnte bei der Übernahme von Rhön durch den Asklepios-Konzern wohl noch abgewendet werden.
Die Abwahl von unliebsamen Aufsichtsratsmitgliedern konnte B.Braun nicht durchsetzen. Der realisierte Machtverlust wurde durch einen Rückzug bei Rhön eingestanden. Das ist auch gut so für beide Unternehmen und die gesamte Übernahme. Möglicherweise haben die Interventionen von Holzinger letztendlich noch ihre Wirkung entfaltet, zum Besten aller. Andernfalls wäre ein monatelanges Übernahmedebakel möglich gewesen, was zu einem Reputationsverlust auf der einen Seite und mehr Unsicherheiten für die Transaktion auf der anderen Seite geführt hätte. Die Investoren wären sicherlich wenig begeistert, wenn die Zukunft beider Klinikbetreiber über längere Zeit ungewiss ist.
Wie kann eine neue gemeinsame Strategie aussehen?
Bleibt die Frage, wie eine neue Strategie für den Klinik-Giganten aussehen kann. Mit der Übernahme hat Asklepios den Abstand zum Konkurrenten Fresenius Helios verringert. Aber passen die Konzerne überhaupt zusammen? Rhön verfügt über vier Klinikstandorte – allesamt Maximalversorger. Eines davon ist das Universitätsklinikum Gießen und Marburg. Mit seinem Campus-Konzept will Rhön ein ganzheitliches regionales Versorgungsangebot aus einer Hand anbieten. Am Hauptsitz Bad Neustadt wurde das Campus-Konzept 2019 in Betrieb genommen. Als Exportschlager will Rhön dieses Modell nun auch in anderen Regionen Deutschlands ausrollen. Asklepios hingegen hat eine sehr diversifizierte Klinikstruktur. Von Regelversorgern, über Maximalversorger bis hin zu Fach- und Rehakliniken. Eine konzernweite Versorgungsstrategie wird damit nicht leicht realisierbar sein.
Zudem hat Rhön in den vergangenen Jahren kräftig in die Digitalisierung und in die Telemedizin investiert. Dem steht Asklepios mit seinem innovativen Angebot Digital Healthynear gegenüber. Inwiefern sich die verschiedenen Systeme zeitnah harmonisieren lassen, wird jedoch eine der Kernfragen der kommenden Jahre sein. Exemplarisch für die IT-Problematik stehen die Fusionen von Banken, wo die verschiedenen IT-Infrastrukturen eine der großen Synergieblockaden ist. Außerdem wird sich die Frage stellen, wie schnell und ob überhaupt, eine Integration von Rhön in die Konzernstrukturen von Asklepios erfolgen kann. Bis alle Synergiepotenziale ausgeschöpft sind, dürften einige Gesundheitsministerwechsel stattgefunden haben.
Der Blick nach vorn
Eine weitere Konsolidierung im deutschen Klinikmarkt ist sicherlich unabdingbar, auch bei den privaten Betreibern. Das Geschäftsmodell der Übernahme maroder öffentlicher Kliniken, die anschließende Restrukturierung und Integration in den Konzern, dürfte bisweilen an seine Grenzen gestoßen sein. Keine guten Übernahmeoptionen mehr. Die guten Standorte sind alle verkauft. Wie also weiter wachsen? Die Investoren wollen anständiges Umsatz- und Gewinnwachstum sehen. Die Übernahme beziehungsweise Fusion im privaten Kliniksektor ist also der nächste logische Schritt. Und es wird nicht die letzte Übernahme gewesen sein.
Die Performance von Rhön konnte sich in den letzten Jahren durchaus sehen lassen. Mit dem Portfolio von vier Maximalversorgern ist zudem auch das Leistungsangebot attraktiv für eine Übernahme. Der Zugewinn von Marktanteilen und die damit verbundenen Kostensynergien sind sicherlich aktuell einer der größten Anreize für eine Ausdehnung des Standortnetzes für Asklepios. Zumal bei Rhön keine zeitraubenden und belastenden Restrukturierungsprogramme gefahren werden müssen. Durch die weitere Diversifizierung dürfte Asklepios auch eine deutlich breitere Gewinnbasis erhalten, wenn es an einigen Alt-Standorten zukünftig zu größeren Verlusten kommen sollte. Die Dynamik im Vergütungsbereich ist durch die umfassende Regulierung, von Leistungsmengen bis Pflegepersonaluntergrenzen, ein Hochrisiko bei der Kliniksteuerung. Zumal an zahlreichen Standorten der Fachkräftemangel in der Pflege zu zunehmenden Leistungsausfällen führen könnte. Alles in allem kein angenehmes Umfeld für den neuen Klinik-Giganten.
Die Angleichung der Unternehmenskulturen ist eine Mammutaufgabe
Hier könnte sich dann die nächste Stakeholder-Krise anbahnen. Wird es dem Konzern gelingen, eine angemessene Vergütungsstruktur im Pflegedienst anzubieten, um Mitarbeitende langfristig im Unternehmen zu halten und im Wettbewerb attraktiv zu sein? Wohin führt die Ausgliederung der Pflegekosten aus den DRGs? Mein Blogger-Kollege Martin Camphausen schrieb in der vorletzten Woche über die Mär von der Rückkehr zum Arbeitgebermarkt.
Tatsächlich sollten sich die Klinikbetreiber – ob privat oder in anderer Trägerschaft – auf eine starke Verschärfung des Fachkräftemangels in der Pflege, und regional auch im medizinischen Dienst, einstellen. Die Auseinandersetzungen des Pflegepersonals mit dem Klinikmanagement am Universitätsklinikum Gießen und Marburg im vergangenen Jahr zeigen, dass Asklepios sich mit der Übernahme von Rhön auch neue Personalkonflikte ins Haus holt. Wie einschneidend die Abwanderung ganzer Abteilungen ausgehen kann, könnte Asklepios einmal bei Vivantes in Berlin erfragen. Alles in allem wird die Angleichung der Unternehmenskulturen in allen Dienstbereichen eine weitere Mammutaufgabe nach der Übernahme werden.



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