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Der kma Entscheider-Blog

kma Entscheider BlogMehr oder weniger Markt im Gesundheitswesen?

Gerade jetzt in der Corona-Krise werden viele Stimmen laut, dass die teilweise Privatisierung von Aufgabe des Gesundheitswesens wieder rückgängig gemacht werden soll. Andererseits steht das Deutsche Gesundheitswesen im internationalen Vergleich mit Ländern wie Italien oder Großbritannien nicht schlecht da. Was haben wir richtig, was haben wir falsch gemacht?

Philipp Köbe
Philipp Köbe ist freiberuflicher Dozent und Unternehmensberater im Gesundheitswesen.

Die Corona-Krise zeigt einmal mehr, dass der Staat bestimmte Aufgaben der Daseinsvorsorge steuern und regulieren muss. Die schnelle Aufstockung der Intensivplätze in den Kliniken ist ein sehr gutes Beispiel. Vorübergehend wurden auch Sport- und Messehallen für die Behandlung von Patienten umgewidmet. In den ersten Wochen wurde primär über die Bettenkapazität gesprochen, als entscheidende Maßzahl. Später wurde klar, dass die eigentlichen Engpassfaktoren das Fachpersonal und Schutzausrüstung sein werden. Mit einem Bündel von Maßnahmen wurden zusätzliche Unterstützungsangebote von Freiwilligen bereitgestellt und auch größere Mengen an Schutzausrüstung beschafft. Das bislang vielerorts kein Notstand ausbrach, liegt aber sicherlich auch daran, dass bisweilen die große Flut der Corona-Patienten ausgeblieben ist.

Brauchen wir eine Bettenreserve?

Die Diskussionen um Überkapazitäten im stationären Sektor haben 2019 eine dominierende Rolle gespielt. Die Bertelsmann-Stiftung empfahl in einer Studie eine deutliche Reduzierung der Klinikstandorte. Im Zuge der Corona-Krise haben sich viele Akteure des Gesundheitswesens positiv dazu geäußert, dass der hiesige stationäre Sektor üppige Kapazitäten vorhält. Damit dürfte die Debatte um Standortschließungen für längere Zeit vom Tisch sein. Aber ist das auch wirklich sinnvoll? Der Streit um die Kliniken ist in erster Linie ein Streit um Qualität und Versorgungssicherheit. Denn diese sind in Deutschland und zwischen den einzelnen Standorten sehr unterschiedlich ausgeprägt.

Für viele Patienten ist es teilweise ein Risiko in nicht spezialisierte Kliniken der Regelversorgung zu gehen, wo mitunter auch komplizierte Operationen angeboten werden. Die Mindestmengen waren ein erster Schritt, diese Problematik zu unterbinden. Was können diese Kliniken aber tun, um dennoch überleben zu können? Wenn eine Bettenreserve aufrecht erhalten werden soll und damit auch Klinikstandorte ohne eigene wirtschaftliche Tragfähigkeit erhalten bleiben sollen, müssen diese Reserven vom Staat finanziert werden. Man könnte dies analog der Sicherstellungszuschläge ausgestalten. Allerdings muss dann allen Beteiligten klar sein, dass dort sowohl Steuergeld als auch Personal unproduktiv gebunden sind.

Der Markt regelt das schon

Diesen Satz las man mit ironischem Unterton sehr häufig in den sozialen Medien in Verbindung mit der Corona-Gesundheitsversorgung. Der Markt regelt tatsächlich vieles. Nehmen wir als Beispiel die Schutzausrüstung. Nachdem die globale Nachfrage nach Masken & Co stark angestiegen ist, waren diese Produkte quasi vorübergehend nicht mehr verfügbar. Die starke und voraussichtlich anhaltende Nachfrage führte zu einer Neuausrichtung der Produktionskapazitäten. Ressourcen fließen immer dorthin, wo sie am produktivsten eingesetzt werden können. Das bedeutet in den meisten Fällen dorthin, wo am meisten verdient werden kann. Nun haben sich die Preise teils verzehnfacht. Also lohnt sich auch für deutsche Hersteller die Produktion von Schutzkleidung, die vorher hierzulande nicht wettbewerbsfähig war.

Mit einem zehnfachen des chinesischen Lohns war es nicht lukrativ in Deutschland Masken zu produzieren. Heute schon. Dadurch sind selbstverständlich auch die Beschaffungskosten für Masken deutlich gestiegen. Daran wird sich auch solange nichts ändern, bis die Produktion wieder in Asien stattfinden wird. Falls Menschen heute die Globalisierung infrage stellen, muss auch an dieser Stelle klar sein, dass die globale Arbeitsteilung kein Selbstzweck war, sondern eine ökonomische Sinnhaftigkeit dahinter steht. Wir produzieren in Deutschland nicht zu unrecht Hightech-Beatmungsgeräte und China produziert Einweg-Schutzausrüstung. So produziert jedes Land die Produkte, die es am effizientesten herstellen kann. Ein Zurückdrehen dieser Arbeitsteilung wird zu enormen Preisanstiegen bei allen Produkten führen. Damit werden letztendlich die Verbraucher höher belastet.

Wer zahlt den Lohn für Pflegekräfte?

Anfangs wurde das Klatschen für die Leistungsträger in der Corona-Krise als schöne Geste wahrgenommen, später nur noch als blanker Hohn. Welche Berufe systemrelevant sind, wurde in diesen Zeiten besonders deutlich. Die Pflegenden stehen an der Spitze dieser Berufsgruppe. Für eine pauschale Erhöhung der Gehälter oder ein Einstiegsgehalt von 4.000,- Euro konnte die Politik jedoch nicht gewonnen werden. Es sollte auch nicht die Aufgabe der Politik sein, Gehälter festzusetzen. Die Gewerkschaften haben die Aufgabe, die Gehälter und Arbeitsbedingungen für Ihre Interessengruppe zu verhandeln. Das dies in der Vergangenheit nicht hinreichend auskömmlich war, ist allen bekannt. Bereits vor der Corona-Pandemie klagten Pflegende über eine zu geringe Bezahlung und zu schlechte Arbeitsbedingungen.

Den Gewerkschaften war es egal. Eine echte Interessenvertretung der Pflegenden fehlt bislang und sollte nun spätestens nach Corona etabliert werden - als Kammer oder wie auch immer. Die Löhne für Pflegende werden steigen. Die Mehrheit der Bevölkerung spricht sich dafür aus, dass diese Berufsgruppe wichtig ist und gut bezahlt werden sollte. Daher wird man zukünftig auch einen höheren Beitragssatz für die Kranken- und Pflegeversicherung in Kauf nehmen oder mittels Steuerzuschuss diese Sozialversicherungszweige querfinanzierten müssen. Die Daseinsvorsorgen wird letztendlich von den Bürgerinnen und Bürgern bezahlt. Wollen wir höhere Löhne für die vielen Beschäftigten in diesen Berufen, müssen wir alle mehr dafür zahlen und dafür an anderer Stelle verzichten. Nach Corona werden viele Menschen bereit sein, diesen Beitrag zu leisten.

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