In diesem Kontext haben die letzten beiden Jahre buchstäblich jedem – egal ob krank oder gesund – deutlich vor Augen geführt, dass eben eine Zusammenführung von Gesundheitsdaten durchaus sinnvoll ist, um Klarheit über das pandemische Geschehen (und die damit verbundenen Einschränkungen der individuellen Freiheit) zu erlangen. Diesen Schwung sollte der Minister nutzen, um sich – wie es auch der Koalitionsvertrag ankündigt – möglichst rasch um ein „Gesundheitsdatennutzungsgesetz“ zu kümmern. Und nicht der seit Jahrzehnten kultivierte Datenschutz sollte dabei – aus Perspektive der Gesundheitsversorgung – im Fokus stehen, sondern die Potentiale, Daten zum allgemeinen und individuellen Gesundheitsschutz zu vereinen. Der Claim des Sachverständigenrats „Daten teilen, besser heilen“ darf dabei ruhig Pate stehen.
Kein Hinderungsgrund sollte in diesem Kontext die vielzitierte europäische Datenschutzgrundverordnung sein (die übrigens auch in Dänemark und Österreich gilt!). Sie nämlich nennt in ihrem Artikel 9 gerade für den individuellen und kollektiven Gesundheitsschutz zahllose Ausnahmen, die nun schlicht in Bundesrecht übertragen werden müssten, um auch in Deutschland jenseits der Landesdatenschutzregelungen Anwendung zu finden. Die DGIV hat hier nicht nur ein „Denkpapier“ zur Digitalisierung vorgelegt, sondern sich in Zusammenarbeit mit dem Bundesverband Gesundheits-IT (bvitg) auch in einer umfangreichen Publikation grundlegend zur Telemedizin geäußert. Informationen hierzu finden sich auf unserer Webseite.
Was passiert mit der ambulanten Versorgung?
Eine weitere Herausforderung liegt in der Neuaufstellung der ambulanten Versorgung. Dienstleistungen von Apotheken auf der einen Seite, Krankenhäuser, die vermehrt ambulante Leistungen erbringen sollen, auf der anderen, und dann kommen noch investorengetriebene Medizinische Versorgungszentren und kaufen im großen Stil freie Arztsitze auf. Es ist ganz eindeutig ein Berufsbild in der Krise. Dabei wird der Arztberuf gerade in der Fläche so nötig gebraucht wie nie. Schon jetzt finden Familien, die berufsbedingt zum Wohnortwechsel gezwungen sind, keine grundversorgenden Haus- oder Kinderärzte mehr, schon jetzt ist „auf dem platten Land“ eine ärztliche Versorgung schwierig und oft mit langen Wegen verbunden.
Die Ärzteschaft hätte also alle Joker in der Hand, die politischen Rahmensetzungen zu bestimmen und konstruktive Vorschläge vorzulegen, um den Berufstand in einem neuen, modernen Licht erstrahlen zu lassen. Doch die ganze Argumentation aus vertragsärztlicher Perspektive ist fast ausschließlich rückwärtsgewandt und an der Bewahrung eines längst obsolet gewordenen Status Quo orientiert. Zielführend und hilfreich wäre eine offene Diskussion darüber, was tatsächlich von Arzt oder Ärztin getan werden muss – und was eben nicht. Andere Länder machen jedenfalls deutlich, dass nicht-ärztlichen Gesundheits- und Pflegeberufe wesentlich mehr Kompetenzen und Versorgungsverantwortung zugesprochen werden können, ohne dass sich der Eindruck manifestiert, hier würde mit der Patientensicherheit Schindluder getrieben.
In eine solche Diskussion muss dann zwingend auch das Nachdenken um die Zukunft der Krankenhäuser einbezogen werden: Es mehren sich die Ansätze (personell eng verbunden mit der DGIV übrigens), die die Zukunft vor allem kleinerer Krankenhäuser nicht mehr als ausschließlich stationäre Leistungsanbieter sehen, sondern die ambulant-stationäre Versorgungseinheiten konzipieren, deren konkreter Bedarf auf die jeweiligen regionalen Notwendigkeiten reagiert und dabei ambulante, stationäre und vielleicht auch geriatrisch-pflegerische Angebote verknüpft. Bei der konkreten Ausgestaltung entsprechender Intersektoralen Gesundheitszentren sollte dann auch den Kommunen eine wichtige Aufgabe zufallen.
Was wir jedenfalls brauchen, ist ein Wandel hin zu einem sektoren- und berufsübergreifenden Gesundheitssystem, das Versorgungsbrüche überwindet und eine barrierefreie Patient Journey gewährleistet. Hat die Ampelregierung bei dieser notwendigen Modernisierung des Gesundheitswesens schon etwas erreicht? Und was muss in dieser Legislaturperiode noch erreicht werden? Diese und weitere Fragen werden auf dem 19. DGIV-Bundeskongress im November 2022 ausführlich gestellt – und soweit wie möglich beantwortet.



