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Deep Dive DigitalEndlich machen statt jammern!

Warum hinken wir bei der digitalen Effizienz so hinterher? Das fragt sich Prof. Dr. Jörg F. Debatin in der neuen Digitalkolumnenfolge. Ideen und Anwendungen gebe es genug. Erkenntnis und Gesetze auch, sogar Geld. Vielen Akteuren fehle nur der Mut.

Prof. Dr. Jörg F. Debatin
Jan Pauls
Prof. Dr. Jörg F. Debatin ist Healthcare-Unternehmer.

Ich lebe gerne in Deutschland und schätze unsere Gesundheitsversorgung. Ärzte, Pflegende und Therapeuten sind im internationalen Vergleich bestens qualifiziert – und in der Regel stark engagiert. Dennoch ist allen Beteiligten klar, dass ohne massive Effizienzsteigerung das Versprechen einer umfassenden Gesundheitsversorgung nicht zu halten sein wird. Im Gegensatz zu früher geht es jedoch nicht mehr nur ums Geld. Uns fehlen die Köpfe, um die rasch alternde Boomer-Generation zu versorgen. Das gilt für die ambulante Versorgung ebenso wie für Krankenhäuser.

Wollen wir nicht auf das Performance-Niveau der Deutschen Bahn absinken (Ich schreibe die Kolumne gerade im Zug nach Berlin.), müssen wir jetzt produktiver werden. Für den einzelnen Leistungserbringer bedeutet das: mehr Gesundheit bei gleichen Ressourcen. Das geht nur mit durchdachten und konsequent digitalisierten Prozessen. Inzwischen mangelt es uns nicht mehr an Erkenntnissen darüber, was zu tun ist. Sondern es fehlt vor allem an der Umsetzung!

Das Umsetzungsdefizit liegt an der fehlenden Weitsicht und an mangelndem Mut von uns.

Warum eigentlich hinken wir in Sachen digitaler Effizienz hinterher? Viele Akteure verweisen mit jammerndem Unterton auf die Politik. Dabei hat die Politik mit zahlreichen Digital-Gesetzen längst geliefert. In Wahrheit liegt das Umsetzungsdefizit an der fehlenden Weitsicht und an mangelndem Mut von uns, den Verantwortlichen für Struktur und Organisation medizinischer Leistungserbringung. Vereinzelt gibt es ermutigende Ausreißer, die zeigen, dass Effizienz durch Innovation durchaus geht – auch in Deutschland.

Hier ein paar Beispiele, wie es gehen kann (Für die subjektive Auswahl bitte ich um Nachsicht.): So arbeitet das Uniklinikum Hamburg-Eppendorf seit 2010 weitgehend papierfrei, trotz Datenschutz und anderer Widrigkeiten. Und natürlich mit automatisierter Unit Dose Medikamentenversorgung und PDMS auf allen Intensivstationen. Die Kosteneinsparungen haben die Investitionen längst amortisiert, von den besseren Patienten-Outcomes ganz zu schweigen.

Seit der Covid-Krise ist viel geschehen

Die Covid-Krise hat uns allen eindrücklich die Bedeutung von Daten für gute Entscheidungen und eine effiziente Steuerung medizinischer Ressourcen verdeutlicht. Seitdem ist viel geschehen: Ein nationales Forschungsdatenzentrum wurde gegründet; Unikliniken teilen Daten im Netzwerk Universitätsmedizin und werten diese gemeinsam aus; das Unternehmen Honic* stellt kombinierte Real World Daten aus der Routine-Versorgung DSGVO-konform einer wissenschaftlichen Sekundärnutzung zur Verfügung.

Auch regulatorisch ist Deutschland Vorreiter in Sachen Telemedizin und Nutzung digitaler Gesundheitsanwendungen. Zahlreiche europäische Länder beneiden uns vor allem um die Fast Track-Zulassung und wollen die App auf Rezept auch einführen. In Deutschland ist die App auf Rezept längst in der medizinischen Regelversorgung angekommen. Sie entlastet Ärzte und Therapeuten. Ähnlich ist es bei der telemedizinischen Betreuung von Intensivbetten.

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Bevor es weitergeht, ein redaktioneller Hinweis. Die Einladung an mich, diese Kolumne zu verfassen, wurde mir mit dem Wunsch versüßt, gern auch Klartext zu schreiben. Diesem Wunsch komme ich gern nach und plädiere für mehr kritische Selbstreflektion bei allen Beteiligten im Gesundheitswesen.

So mangelt es nicht an innovativen Applikationen und spannenden neuen digitalen Produkten, nicht zuletzt aufgrund der rasanten Entwicklungen im KI-Bereich. Allerdings mangelt es an Möglichkeiten, diese Anwendungen in bestehende IT-Systeme zu integrieren. Das defensive proprietäre Denken einiger großer PVS-Hersteller hat uns in eine Sackgasse geführt. Die in der Konsequenz oftmals schlechte Integration von e-AU- und e-Rezept-Anwendungen gefährdet die Akzeptanz der digitalen Transformation. Deshalb empfehle ich der IT-Industrie und den Herstellern digitaler Healthcare-Produkte mehr Interoperabilität, offene Schnittstellen und mehr Mut zur Cloud.

Anders als in der Schule darf man sich Dinge abschauen!

An die Adresse von Krankenhaus-Managern richtet sich ein klarer Aufruf: Handelt endlich, Eure Mitarbeiter und Patienten wollen nicht länger warten. Es geht ums Machen, nicht um die Identifikation von Gründen, warum die Umsetzung nicht funktioniert. Es gibt inzwischen viele Best-Practice-Beispiele. Anders als in der Schule darf man sich Dinge abschauen! Geld für Investitionen gibt es auch – dem KHZG sei Dank!

Versicherte wollen bereits heute digitale Tools für eine bessere Gesundheitsversorgung einsetzen. Diese verhelfen ihnen zu mehr Eigenständigkeit – und weniger Arztbesuche und Klinikaufenthalte entlasten unser System. Krankenkassen sollten also endlich aufhören, den Fast Track für DiGAs zu bekämpfen und die DiGA-Preise unter Wirtschaftlichkeitsgrenzen zu drücken. Beteiligt Euch stattdessen an innovativen Start-ups und beschleunigt die Integration effizienzsteigernder digitaler Lösungen in den klinischen Alltag.

Mehr Druck auf die Hersteller könnte helfen

Bislang ist es uns Medizinern gut gelungen, Patientenwohl mit unserem persönlichen Wohlergehen in Einklang zu bringen. Ein ‚Weiter-so‘ wird aber nicht funktionieren. Deshalb ein klarer Appell an meine ärztlichen Kollegen: Sucht nicht immer das Haar in der Suppe der digitalen Neuerungen!

Natürlich fällt jede Umstellung etablierter Prozesse schwer. Als Ärzte sind wir es unseren Patienten aber schuldig, diese Mühen auf uns zu nehmen. Anstelle von Jammern und Schimpfen wünsche ich mir stärkeren Druck auf Hersteller für nutzerfreundliche IT-Lösungen, konstruktives Engagement und praktikable Lösungen zwecks Überwindung von Anlaufschwierigkeiten. Und ab und zu auch mal eine positive Rückmeldung über erkennbare Verbesserungen durch digitale Innovationen.

Es geht immer um ein Mehr an Gesundheit für unsere Patienten.

Und zum Abschluss ein Gedanke, der sich an uns alle richtet: Wir brauchen mehr Mut zu ‚Think Big‘! Ein Beispiel: Anstatt das MDK-Prüfverfahren zu optimieren, sollten wir uns fragen, wie man mit KI den Prüfprozess gänzlich abschaffen kann. Die vielen tausend Leistungserbringer, die derzeit beim MDK beschäftigt sind, könnten dazu beitragen, bestehende Engpässe in der Patientenversorgung zu überwinden.

Natürlich ist Digitalisierung kein Selbstzweck. Das Erbringen von Gesundheitsleistungen aber auch nicht. Es geht immer um ein Mehr an Gesundheit für unsere Patienten, und dazu gehört der konsequente Einsatz digitaler Technologien. Unserer Verantwortung für eine funktionierende Gesundheitsversorgung werden wir nur gerecht, wenn wir mit reflektiertem Mut das Jammern durch Machen ersetzen.

Ich wünsche uns allen eine erkenntnisreiche DMEA!

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* Compliance Hinweis: Der Autor ist Gründungsgesellschafter der Honic GmbH sowie Gesellschafter der ProCarment GmbH, dem Hersteller der DiGA ProHerz.

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