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Heilende Oasen„Gespart wird als Erstes bei den Grünanlagen“

Die Gestaltung von Krankenhausgärten wird oft vernachlässigt. Warum es sich lohnt, mehr Gedanken und Aufwand in diese Gärten zu investieren, erörtern zwei Vorstandsmitglieder des Vereins Architekten für Krankenhausbau und Gesundheitswesen.

Ein Baum. Die Sonne scheint durch das Laub.
Smileus/stock.adobe.com
Mehr Grünflächen rund um eine Klinik lohnen sich. Zwei Experten erklären im Interview mit kma warum.

kma: Mehr Grün für mehr Gesundheit – die positive Wirkung von Pflanzen und Grünanlagen auf die Gesundheit wurde in verschiedenen Studien untersucht. Wenn man sich die aktuelle Krankenhausarchitektur anschaut, wird das Potenzial aber nicht voll ausgeschöpft, oder?

Marc Rehle: Wir kennen die wissenschaftlichen Untersuchungen darüber, wie eine grüne und naturnahe Umgebung zu einer schnelleren Genesung beitragen kann. Das beschäftigt uns als Architekten, als Krankenhausbauer natürlich und wir würden die Erkenntnisse gern umsetzen. Dem steht aber eine Gegenbewegung im Weg. Zum einen sagen Hygieniker: Erde im Krankenhaus ist ein gefährlicher Keimträger. Zum anderen ist da das Krankenhausmanagement. Krankenhäuser leiden an einer Unterfinanzierung. Gespart wird als Erstes bei den Grünanlagen. Vor allem, wenn für deren Pflege noch Personal benötigt wird.

Das beschäftigt uns als Krankenhausbauer natürlich und wir würden die Erkenntnisse gern umsetzen. Dem steht aber eine Gegenbewegung im Weg.

Dr. Birgit Dietz: Außerdem passiert natürlich auch außerhalb des Krankenhauses viel. Liegendkrankenanfahrt, Ver- und Entsorgung, Rettungswege, Parkplätze und Stellflächen – viel Platz wird dort einfach mit wichtigen Funktionen belegt. Und ich erlebe auch, dass Grünflächen als Erweiterungsflächen immer wieder zur Debatte stehen, sie also aufgelöst und bebaut werden. Das ist wirklich schade, weil man gerade bei den Häusern mitten in der Stadt wenig Möglichkeiten hat, problemlos ins Grüne zu gelangen.

Der Architekt Marc Rehle ist Geschäftsführer im Architekturbüro RRP Architekten Partnerschaft mbB sowie Vorstandsvorsitzender des eingetragenen Vereins AKG – Architekten für Krankenhausbau und Gesundheitswesen.

 

 

Also sind Grünanlagen ein Auslaufmodell?

Rehle: Entscheidend ist, dass die Gärten, die klassischen schönen Patientengärten von früher, sterben, weil sie von Patienten nicht mehr genutzt werden. Die Devise lautet: Wenn ein Patient in den Garten gehen kann, dann kann er auch nach Hause gehen. Deshalb müssen wir uns andere Gedanken machen. Zum Beispiel, dass man Patientengärten in eine zentrale Glashalle im Krankenhaus selbst integriert. Die Grünanlage kann dann bei jeder Wetterlage genutzt werden und so wieder ihre positive Wirkung entfalten.

Grünflächen als Therapie- oder Rückzugsorte – sollte das Standard sein in der gesamten Krankenhauslandschaft oder nur in Fachkliniken?

Dietz: Gerade in Häusern, wo Patienten längere Verweildauern haben, gehören Gärten mittlerweile wieder zum therapeutischen Konzept. Aber auch in Einrichtungen, in denen ältere Menschen und solche mit Demenzerkrankungen und anderen kognitiven Einschränkungen vermehrt behandelt werden, sind Gärten extrem wichtig. Die Patienten zu aktivieren, sie zu motivieren, nach draußen zu gehen, dort die Muskeln zu stärken oder den Umgang mit dem Rollstuhl oder Rollator zu erlernen, ist ein wichtiges Training, um Selbstvertrauen und Selbstständigkeit zu stärken. Im Freien zu sein hat so viele positive Aspekte: unter anderem die Bildung von Vitamin D, Stressreduktion, die Regulierung des natürlichen Tag-Nacht-Rhythmus.

Rehle: Die BG Unfallklinik Murnau ist ein gutes Beispiel. Dort werden Intensivpatienten bei schönem Wetter aus den Intensivzimmern auf die Terrasse gefahren. Weil man in den vergangenen Jahren festgestellt hat, dass Sonnenlicht einen positiven Effekt auf das Wohlbefinden hat.

Dass der Aufenthalt im Freien zur Genesung beiträgt, trat mit dem medizinischen Fortschritt in den Hintergrund.

Dietz: Genau dieser Ansatz hatte sich ja bereits um 1900 mit den Pavillon-Krankenhäusern etabliert und später auch zur Behandlung von TBC-Erkrankten in den Terrassen-Krankenhäusern bewährt. Mit der Entdeckung des Penicillins empfand man dies als überflüssig. Dass der Aufenthalt im Freien zur Genesung beiträgt, trat mit dem medizinischen Fortschritt und der dabei erreichten Verkürzung der Verweildauer mehr und mehr in den Hintergrund.

AKG-Vorstandsmitglied Dr. Birgit Dietz ist Architektin, führt das Bayerische Institut für alters- und demenzsensible Architektur und lehrt Krankenhausneubau und Bauten des Gesundheitswesen an der TU München.

Und das ändert sich jetzt?

Dietz: Die erste Studie, durch die das wieder mehr ins Bewusstsein gekommen ist, wurde 1984 von Ulrich Rogers durchgeführt. Hier wurden zwei Patientengruppen nach der gleichen OP miteinander verglichen – eine hatte Blickbeziehungen ins Grüne, die andere nicht. Patienten mit Aussicht gesundeten schneller, brauchten weniger Schmerzmittel. Ein kleines Manko bei allen Studien, die seitdem durchgeführt wurden, ist aber: Effekte, die durch das Pflegepersonal oder Angehörige entstehen können, wurden nicht berücksichtigt.

Bei einem anderen Ansatz, der Aufmerksamkeitserholungstherapie, geht es im Kern darum, dass schon nach fünf Minuten Aufenthalt im Grünen das Stresslevel einzelner Personen sinkt. Also, dass man in den Garten geht, kurz auf den Balkon, den Wind über die Wange streichen fühlt, etwas anderes riecht oder hört und somit eine gewisse Alltagsferne erlebt und abschalten kann. Dies gilt für Patienten, Besucher und auch das Personal. Wo es in jedem Stockwerk die Möglichkeit gibt, schwellenlos nach draußen auf Terrassen oder Balkone zu gelangen, kann man ein klein wenig die Krankenhausblase verlassen. Rehle: Mir als Architekt ist dieser Punkt wichtig: Wenn man in den Garten geht, geht es eben nicht nur um den Blick aufs Grüne. Sondern man hört Vogelstimmen. Es riecht zwischen Bäumen anders als im Klinikum.

Aber stellen Sie als Architekten mit Schwerpunkt Krankenhausbau denn in letzter Zeit einen Trend hin zu mehr Grün fest – im Gebäude oder außerhalb davon?

Rehle: Leider nicht. Es ist ein Kampf mit den Bauherren, ein bisschen Grün zuzulassen. Die Betriebskosten sind ein wesentlicher Faktor dafür – es braucht Gärtner, die Grünanlagen pflegen. Das macht es schwieriger, mit Hilfe der Architektur eine Gesundheitsverbesserung durchzusetzen.

Dietz: Es besteht zudem die Schwierigkeit, Grünanlagen für Therapiezwecke auch in die Abläufe eines Krankenhauses einzubinden. Es bräuchte Personal, zum Beispiel Ergotherapeuten, das mit dem Patienten rausgeht. Dabei zeigt schon ein Blick auf die Demografie, warum sich das lohnen würde: In durchschnittlichen Akutkrankenhäusern zählt über die Hälfte der Patienten zu den Über-65-Jährigen. Und von diesen haben wiederum 40 Prozent eine kognitive Einschränkung wie Demenz. Das heißt, das ist genau die Klientel, die von einer Belebung aller Sinne durch das Angebot, niederschwellig nach draußen wie auf einen Dachgarten oder eine Terrasse zu gehen, profitieren würde.

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Und mit Blick auf den Klimaschutz? Müssten Krankenhäuser mehr in Grünanlagen investieren?

Rehle: Wir als Klinikplaner versuchen mittlerweile sehr stark mit dem Argument des Klimaschutzes mehr Grün auf mehreren Ebenen durchzusetzen. Auf dem Dach, auf Terrassierungen, im Innen- und Außenbereich wollen wir möglichst extensiv begrünen. Wenn eine Tiefgarage vorhanden ist, legen wir eine Überdeckung von 1,20 Metern an, so dass auch wirklich Bäume wachsen können. Als Beitrag für mehr Klimaneutralität hätten Krankenhausgärten wieder eine tragen de Funktion. Vor allem als Hitzeschutz. Hier zeigen Untersuchungen, dass eine Fassadenbegrünung einen besseren Hitzeschutz darstellt als technische Vorrichtungen. Und Dachterrassen sind zwar nicht für Patienten zugänglich, aber auch an Ruhezonen für das Krankenhauspersonal sollte man denken.

Dietz: Das ist etwas, was mir sehr am Herzen liegt: Dass man nicht nur die Patientensicht berücksichtigt, sondern auch, wie etwas mehr Grün den Mitarbeitenden nutzt. Sie erleben viel Stress, werden selbst auch älter, Fachkräftemangel ist ein Thema. Das könnte durchaus einen Ansatzpunkt bieten, ihnen Wertschätzung zu zeigen. Wenn es zum Beispiel einen Pausenraum mit einer kleinen Grünfläche auf einem Balkon oder einen Dachgarten gibt. Dass sie einfach mal für zehn Minuten tatsächlich nach draußen gehen, kurz Pause machen und den stressigen Arbeitsalltag unterbrechen können, ist unbezahlbar. Das Beispiel der Intensivstation im Uniklinikum Tübingen mit Dachgarten für die Mitarbeitenden zeigt das gut.

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