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InterviewHerr Thau und das gnadenlose Warten auf die Reform

Das Paderborner St. Vincenz-Krankenhaus hat viel richtig gemacht und ist trotzdem insolvent. Jürgen Thau erlebt gerade die Sanierung in Eigenverwaltung. Mit WMC-Chef Christian Eckert gibt der Klinikmanager Einblicke und erklärt, was ihn frustriert.

Jürgen Thau
St. Vincenz-Krankenhaus
Jürgen Thau gehört zum Geschäftsführungs-Trio der St. Vincenz-Krankenhaus GmbH in Paderborn.

Die deutschen Kliniken hoffen inzwischen seit Jahren auf Planungssicherheit. Zwar sieht Bundesgesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach das Land am „Vorabend einer großen Reform“, doch für die Krankenhaus-Verantwortlichen ist diese Einschätzung nicht mehr als ein Hoffnungsschein am Horizont.

Wie ist es, ein Krankenhaus in dieser Phase der Ungewissheit zu sanieren? Und hätte ein schnelleres Handeln der Politik die Insolvenzwelle stoppen? Darüber sprechen wir mit Jürgen Thau, Geschäftsführer des St. Vincenz-Krankenhauses in Paderborn, und Christian Eckert, Geschäftsführer des Münchner Beratungsunternehmens WMC Healthcare, der das Haus im Sanierungsverfahren in Eigenverwaltung begleitet.

Laut Statistischem Bundesamt wurde allein in den ersten vier Monaten dieses Jahres in acht deutschen Krankenhäusern ein Insolvenzverfahren eröffnet. Sehen wir jetzt schon den kalten Strukturwandel, vor dem Experten seit Monaten warnen?

Christian Eckert: Davon gehe ich aus, und es ist keine überraschende Entwicklung. Die Verbände, viele Klinikgeschäftsführer:innen und auch wir bei WMC Healthcare haben immer wieder darauf hingewiesen. Die Politik hat nichts getan, um das Kliniksterben zu verhindern. Man kann sich also durchaus fragen, ob es politisch gewollt ist. Fakt ist, dass eine Reduktion der Krankenhausstandorte im Rahmen der Strukturreform vorgesehen und sicher auch sinnvoll ist. Insofern erleichtert jedes Krankenhaus, das bereits jetzt schließen muss, den Politiker:innen die Arbeit.

Der Zeitplan, den sich das Bundesgesundheitsministerium für die Reform gesetzt hatte, war sehr optimistisch. Dass es Verzögerungen geben würde, war eigentlich jedem klar. Natürlich ist es schwierig für die Kliniken, dass dadurch am Markt so viel Ungewissheit besteht. Ob aber eine schnellere Umsetzung die zahlreichen Insolvenzen, die wir gerade sehen, hätte verhindern können, wage ich zu bezweifeln. Denn wir befinden uns mitten in einem schleichenden Prozess, den wir bereits rund zwei Jahre beobachten, und der vermutlich nicht mehr so einfach zu stoppen gewesen wäre.

Christian Eckert
WMC Healthcare
Christian Eckert ist Geschäftsführer bei WMC Healthcare.

Herr Thau, auch das St. Vincenz-Krankenhaus befindet sich in einem Sanierungsverfahren in Eigenverwaltung. Warum sind Sie von den schwierigen Rahmenbedingungen offenbar stärker betroffen als andere Häuser in der Region?

Jürgen Thau: Ich würde nicht sagen, dass wir besonders betroffen sind. Wir haben die Auswirkungen der schwierigen Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen nur früher zu spüren bekommen. Wir hatten bereits 2019, vor allem auf Grund der hohen Vorhaltekosten für unsere gewachsene Struktur an drei Standorten, eine unbefriedigende Ertragslage. Zwar hätten die Jahresverluste damals kurz oder mittelfristig nicht zu einer Existenzbedrohung geführt. Trotzdem wollten wir natürlich gegensteuern und hatten die Konsolidierung bereits eingeleitet.

Dann kam die Pandemie und hat unsere Arbeit unterbrochen, weil wir gezwungen waren, die Prioritäten vorübergehend anders zu setzen. Jetzt waren es vor allem zwei Punkte, die unsere Liquidität aufgebraucht und die Anmeldung der Insolvenz notwendig gemacht haben: das Pflegebudget, bei dem wir Krankenhäuser in hohem Maße in Vorleistung gehen müssen, und die explodierenden Energiekosten. Anders als viele andere Häuser hatten wir zu Beginn der Energiekrise leider keine langfristigen Verträge mit den Anbietern mehr, so dass uns die steigenden Kosten unmittelbar getroffen haben.

Das St. Vincenz-Krankenhaus ist in katholischer Trägerschaft. Warum sind freigemeinnützige Häuser generell besonders von Insolvenzen bedroht?

Jürgen Thau: Das ist ein allgemeiner Fakt und betrifft sowohl evangelische als auch katholische Einrichtungen. Während kommunale Träger in der aktuellen Situation häufig die Defizite ihrer Krankenhäuser vorübergehend kompensieren, können freigemeinnützige Träger das meist nicht leisten. Egal, ob der Träger ein Erzbistum, eine örtliche Kirchengemeinde oder wie in unserem Fall ein Orden ist. Die finanziellen Mittel sind begrenzt und die sozialen Aufgaben vielfältig. Kitas, Seniorenheime oder auch Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen gehören oftmals zum Portfolio. Die Träger haben Verantwortung für all diese Bereiche und müssen sich genau überlegen, ob sie in einen Unternehmenszweig investieren wollen, der keine oder nur sehr schlechte Entwicklungsmöglichkeiten hat.

Viel wichtiger ist ein medizinisches Fachkonzept, das vor Ort bedarfsgerecht funktioniert.

Könnten hier Verbünde nach dem Vorbild von zum Beispiel Agaplesion, der Alexianer GmbH oder der St. Franziskus-Stiftung helfen?

Jürgen Thau: Es ist auf keinen Fall das Wundermittel, das grundsätzlich hilft. Auch Krankenhäuser in Verbünden gehen vereinzelt in Insolvenz. Eine Verbundstruktur kann helfen, weil man zum Beispiel bei der Verwaltung oder beim Cash-Pooling auf Synergien setzen kann. Wenn aber insgesamt die Finanzierung nicht passt, verbraucht sich dieser Effekt schnell wieder. Viel wichtiger ist ein medizinisches Fachkonzept, das vor Ort bedarfsgerecht funktioniert. Das gilt für einen Standort im Verbund ebenso wie für eine Klinik, die auf der grünen Wiese ganz für sich alleingestellt ist.

Experten gehen davon aus, dass sich wirtschaftliche Effekte aus der Krankenhausreform frühestens 2026 zeigen werden. Hätten eine schnellere Reform oder ein Vorschaltgesetz Ihr Haus vor dem Insolvenzantrag bewahren können?

Jürgen Thau: Das kann ich nicht eindeutig sagen. Wenn die akuten Kostensteigerungen im Landesbasisfallwert abgefedert worden wären, wäre das möglicherweise der Puzzlestein gewesen, mit dem wir die Insolvenz hätten abwenden können. Denn wir hatten ja gemeinsam mit WMC Healthcare bereits einige Potenziale aufgespürt, mit denen wir eine Ergebnisverbesserung realisieren können. Es wird aber einige Monate dauern, bis wir diese Effekte in vollem Umfang heben können. 2024 hätten wir dann hinreichend Rückenwind, werden aber von den erneuten Tarifsteigerungen, die uns im April erwarten, wieder gestoppt.

Ich teile die Meinung der Deutschen Krankenhausgesellschaft, dass der hohe Tarifabschluss die Wettbewerbsfähigkeit der Kliniken am Arbeitsmarkt sichert, aber die Mehrkosten vollständig refinanziert werden müssen. Leider bleibt diese Forderung der DKG seit Monaten ungehört. Vielleicht kommt durch den bundesweiten Protesttag am 20. September endlich Bewegung in die Sache. Denn nicht nur die Personalkosten sind gestiegen. Die deutschen Krankenhäuser brauchen dringend einen Inflationsausgleich, damit wir die Abwärtsspirale in der Kliniklandschaft stoppen können.

Seit Ostern 2023 haben wir in unserer Pflege nur noch festangestelltes Personal und können auf Arbeitnehmerüberlassung vollständig verzichten.

Zusätzlich macht der Fachkräftemangel den Kliniken zu schaffen. Sie dagegen haben allein in den Corona-Jahren eine dreistellige Anzahl an Pflegekräften gewonnen. Was ist Ihr Trick?

Jürgen Thau: Wir haben zum Beispiel die Übernahmequote bei unseren Pflegeschülern ganz deutlich erhöhen können, indem wir deren Ansprache verändert haben. Wir gehen sehr früh ins Gespräch mit unseren Auszubildenden und starten mit der Evaluation. Wir fragen nach, ob sie bei uns arbeiten wollen und was wir verbessern können, damit wir für sie als Arbeitgeber noch attraktiver werden.

Generell haben wir viel Energie in kreative Maßnahmen zur Gewinnung von Fachkräften gesteckt. Zum Beispiel bieten wir ein „Speed Dating“ für Pflegekräfte an. Wir veröffentlichen Orte, auch immer mal wieder außerhalb des Krankenhauses, an denen man uns als Arbeitgeber treffen und unsere Bereiche und Rahmenbedingungen kennenlernen kann. Man kommt dorthin, braucht wenig Vorbereitung und keine Bewerbungsunterlagen, und wenn alles passt, geht man bereits mit einem Arbeitsvertrag in der Tasche nach Hause. Das alles zeigt Wirkung: Seit Ostern 2023 haben wir in unserer Pflege nur noch festangestelltes Personal und können auf Arbeitnehmerüberlassung vollständig verzichten.

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Sie haben also viel richtig gemacht, und nun haben die dadurch gestiegenen Personalkosten massiv an der Liquidität gezehrt. Was läuft falsch beim Pflegebudget?

Jürgen Thau: Das Pflegebudget war von Anfang an ein Bürokratiemonster. Für die meist knapp besetzten Verwaltungen in den Kliniken ist es ein enormer Aufwand, die Budgetunterlagen vorzubereiten. Die Abstimmungsprozesse mit den Zweckverbänden dauern länger, und bei den Kostenträgern hatte man manchmal den Eindruck, dass sie aus Sorge um die eigene Liquidität, die Termine bewusst verzögert haben. In der Folge hatten wir am Anfang zwei Jahre vor uns hergeschoben: 2020 und 2021 waren 16 Millionen Euro unserer Pflegekosten nicht refinanziert.

Wir schieben jetzt erneut zwei Jahre vor uns her und haben aktuell ungefähr zehn Millionen Euro vorfinanziert – und das liegt an diesem überbordenden Konstrukt. Ähnlich wie das DRG-System, ist das Pflegebudget ein lernendes System. Das Know-how schleift sich ein, und irgendwann werden wir à jour sein. Der Weg dahin ist aber extrem steinig. Die Kliniken müssen die Kosten vorfinanzieren und sich ständig fragen, ob und wie lange sie das wirtschaftlich überleben können. 

Bei den St. Vincenz-Kliniken bildet Jürgen Thau zusammen mit Sr. Bernadette M. Putz und Markus Funk (Foto) das Führungs-Trio. Funk ist seit dem 1. September Sprecher der Geschäftsführung. Er war zuletzt in gleicher Funktion für die Imland-Kliniken tätig, die ebenfalls ein Insolvenzverfahren durchlaufen haben. kma Online hat Funk zu seiner Motivation und zu seinen Insolvenzerfahrungen befragt.

Das St. Vincenz-Krankenhaus stellt sich jetzt neu auf. Inwiefern wird die Restrukturierung dadurch erschwert, dass Sie wegen der noch ausstehenden Krankenhausreform gar nicht sicher wissen, auf welche gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen Sie sich einstellen müssen?

Jürgen Thau: Bei der Hebung der kurzfristigen Optimierungspotenziale werden wir dadurch nicht ausgebremst. Wenn es aber um die Entwicklung des langfristigen Zielbilds geht, hinter dem auch Strukturinvestitionen stehen, ist es natürlich schwierig, dass die Rahmenbedingungen nicht auf dem Tisch liegen. Wir können jetzt zum Beispiel aus einem Standort schlecht ein Fachkrankenhaus machen, wenn wir nicht wissen, ob es diese Struktur in unserem Gesundheitssystem in fünf Jahren überhaupt noch geben wird. Daher müssen wir in Szenarien denken und dann schauen, wie sich die Rahmenbedingungen entwickeln.

Herr Eckert, den Krankenhäusern geht es seit vielen Jahren schlecht. Die rasante Zuspitzung, die wir momentan sehen, ist dennoch erschreckend. Wie kann dieser Abwärtstrend gestoppt werden?

Christian Eckert: Wenn das politisch überhaupt gewollt ist, müsste man an zwei Hebeln ansetzen. Die Krankenhäuser brauchen Planungssicherheit und müssen daher so schnell wie möglich mehr erfahren über die Eckpunkte der anstehenden Krankenhausreform. Wenn wir wissen, welche abgestimmten Versorgungsmodelle entstehen sollen, können wir uns darauf strategisch vorbereiten. Um kurzfristig drohende Insolvenzen noch abzuwenden, sollte die derzeitige Methodik in der Krankenhausfinanzierung angepasst werden. Die Preise verändern sich aktuell so schnell, dass die Anpassung der Basisfallwerte mit erheblicher zeitlicher Verzögerung, wie es derzeit der Fall ist, nicht mehr ausreichend ist. Nicht nur beim Pflegebudget müssen Kliniken ständig in die Vorfinanzierung gehen, und das ist der Hauptgrund dafür, dass so viele Krankenhäuser in Deutschland ums Überleben kämpfen.

Beratungs-Expertise

Christian Eckert und Prof. Christian Wallwiener begleiten kma Online in der Berichterstattung rund um die Krankenhausreform. Als Geschäftsführer der Unternehmensberatung WMC Healthcare sind sie täglich im Austausch mit dem Klinik-Management und somit ganz nah dran an den Herausforderungen. Kommentare, Interviews, Beiträge – in verschiedenen Formaten teilen sie ihre Erfahrungen, Einschätzungen und Learnings.

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