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Krankenhaus JülichInsolvenz, Kündigungen, Schließung – Wie war das, Frau Disselborg?

Julia Disselborg kam nach Jülich, um eine Kollegin für wenige Wochen im Mutterschutz zu vertreten. Dann musste sie zwei Häuser in die Insolvenz führen, Mitarbeiter entlassen und eine Klinik schließen. Jetzt steckt sie mitten im Neustart – und erzählt über das Erlebte.

Julia Disselborg
ZieL.media
Geschäftsführerin Julia Disselborg arbeitet daran, in Jülich ein Wir-Gefühl entstehen zu lassen.

Das vergangene Jahr war intensiv. Und anstrengend. „Ich habe so viel gelernt wie in den zwanzig Jahren zuvor nicht“, sagt Julia Disselborg – und fügt nach einer kurzen Pause hinzu: „Vieles möchte man auch gar nicht erleben.“

Seit Juni 2022 hat die 47-Jährige die Katholischen Nord-Kreis Kliniken (KNK) in Jülich und Linnich erst als Mutterschutz-Vertretung übernommen, dann in und durch die Planinsolvenz geführt. Sie hat aus den zwei seit Jahren defizitären Häusern eines gemacht, dabei knapp 100 Beschäftigte entlassen müssen. Und jetzt feilt sie daran, die heute aus beiden Standorten gemischte Belegschaft zu einer echten Mannschaft zu machen. Mittlerweile hat die Stadt Jülich die Kölner Josefs-Gesellschaft als Träger abgelöst, und aus den KNK ist das Krankenhaus Jülich geworden. Linnich wurde geschlossen. Das vergangene Jahr war wirklich intensiv.

Sie nahm die Anspannung mit nach Hause

Disselborg ist eine erfahrene Klinikmanagerin. Sie hat schon diverse Veränderungsprozesse geleitet, stationär wie ambulant, hat Restrukturierungen mitgemacht, auch nach Trägerwechseln, und sie kennt sich im Outsourcing aus. Nach mehr als 15 Jahren bei Helios leitete sie zweieinhalb Jahre die Sana Kliniken Duisburg und wechselte dann im April 2022 von dem Maximalversorger zur Hospital Management Group (HMG).

Natürlich musste ich mich schon öfter von Beschäftigten trennen, aber eine Massenentlassung von 99 Menschen ist etwas Anderes.

Die KNK-Sanierung in Nordrhein-Westfalen ist ihr erstes Engagement für das Unternehmen, und sie verlangt der zweifachen Mutter einiges ab. Als sie etwa im Frühjahr die Kündigungen aussprach, habe sie die Anspannung auch mit nach Hause zu ihrem Mann und den zwei Töchtern genommen, sagt sie.

Wochenlang hatte sie mit den Insolvenzexperten und ihrem Team zuvor das Personalzielkonzept diskutiert und versucht, so viele Stellen wie möglich zu retten, und dann sorgten auch noch die Kündigungsfristen für Zeitdruck. „Natürlich musste ich mich schon öfter von Beschäftigten trennen, auch von Teams, aber eine Massenentlassung von 99 Menschen ist etwas Anderes“, sagt Disselborg. Am Ende hat sie zusammen mit ihrem Personalleiter mit allen Betroffenen persönlich gesprochen.

Es gab große Enttäuschung, viel böses Blut

Weggefallen sind vor allem zahlreiche Leitungsfunktionen. Es gab ja alles doppelt – Chefarztstellen, Pflege- und Ärztliche Direktion und Supportstrukturen in Verwaltung, technischem Dienst und Einkauf. Von zuletzt noch rund 560 Stellen in den zwei KNK-Häusern sind in Jülich jetzt rund 450 geblieben.

Zur Person

Julia Disselborg (47) hat an der Universität Maastricht Ökonomie und Management studiert und mit dem Master of Arts abgeschlossen. Von 2004 bis Februar 2019 arbeitete sie für den Klinikkonzern Helios. Sie begann als Trainee, war Assistentin der Geschäftsführung in Wuppertal und stellvertretende Geschäftsführerin im Klinikum Berlin-Buch. Zuletzt führte sie mehr als sechs Jahre das Helios Klinikum Bad Saarow. Im März 2019 wechselte sie zu Sana und leitete die Kliniken Duisburg. Seit April 2022 ist sie bei der Hospital Management Group unter Vertrag.

Disselborg weiß, dass die Schließung in Linnich für die Beschäftigten traumatisch war und ist. Es gab große Enttäuschung, viel böses Blut. Deshalb wird es auch noch dauern, bis die jetzige Mannschaft wirklich reibungslos zusammenspielt. „Sie sind sich nicht freudestrahlend in die Arme gefallen“, sagt die Geschäftsführerin. Obwohl sie zu einer GmbH gehörten, herrschte Konkurrenz zwischen den beiden Krankenhäusern.  Jeder Standort arbeitete für sich, medizinischer Austausch fand selten statt.

Vieles hat uns auch überrollt.

„Beide Seiten haben jetzt das Gefühl, etwas verloren zu haben“, sagt Disselborg – und dabei geht es nicht nur um die beiden Heiligen Elisabeth und Josef, die zwar weiter als Skulpturen im Foyer stehen werden, aber aus dem Kliniknamen verschwunden sind. „Vieles hat uns auch überrollt.“ Bis ganz zum Schluss war nicht klar, welches der beiden Häuser bestehen bleiben würde.

Krankenhaus Jülich
ZieL.media (Montage)
Das Krankenhaus Jülich wird jetzt von der Stadt getragen.

Was passierte, als Jülich schließlich feststand, hat Disselborg wie eine Schockwelle erlebt. Während es nach dem Start der Planinsolvenz so gut wie keine Abgänge gegeben habe, hätten nach der Standortentscheidung viele Beschäftigte gekündigt. „Das hatten wir so nicht erwartet“, sagt sie. Auch auf die heftigen Emotionen war sie nicht vorbereitet, darauf, „dass es so viele persönliche Angriffe aufeinander gab“.

Wahrscheinlich ist es kein Nachteil, dass die Geschäftsführerin nicht in der Stadt lebt. Sie pendelt täglich von und nach Ratingen. Das ist etwa eine Stunde entfernt – genug Abstand, um den Unmut vieler aktueller und ehemaliger Krankenhausmitarbeiter nicht auch nach Feierabend erleben zu müssen. Das ging teilweise auch auf die persönliche Ebene.

Eine Stationsleitung aus Linnich und ein Chefarzt aus Jülich – da sind am Anfang Welten aufeinander geprallt.

Krankenhaus Jülich Station
ZieL.media
Die heute aus beiden Standorten gemischte Belegschaft muss zu einer echten Mannschaft werden.

Im Krankenhaus muss sie seit ihrem Start die Stimmungen auffangen, Brücken bauen und jetzt nach und nach erstmals ein Wir-Gefühl entstehen lassen. Dafür hat sie sich externe Unterstützung von Changemanagement-Experten geholt – und auf einer Station dann sogar die Reißleine gezogen und sie geschlossen. Mit neuem Konzept, neuem Team und neuer Leitung soll daraus jetzt eine Kurzliegerstation werden.

Andere haben sich mittlerweile arrangiert: „Eine Stationsleitung aus Linnich und ein Chefarzt aus Jülich – da sind am Anfang Welten aufeinander geprallt“, erzählt Disselborg. Und es gibt auch Stationsleitungen, die gekündigt hatten und das inzwischen wieder zurückgenommen haben. „Das waren Kurzschlussreaktionen, wir haben sie überzeugt zu bleiben.“

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„Kooperativ und delegierend“, so sei ihr Führungsstil, sagt Disselborg. Sie will, dass sich das Team traut, selbst zu entscheiden. „Es gibt so viel zu tun, da darf mein Schreibtisch nicht zum Flaschenhals werden“, erklärt die Geschäftsführerin. Sie mag „Tür- und Angel-Gespräche“, für die sie ohne Hürden ansprechbar ist. Zudem hat sie offene Sprechstunden eingeführt. Alle zwei Monate kann jeder ohne Termin zu ihr kommen. „Das sind gute Momente, um sich kennenzulernen.“ Die Pflegedirektion und der Ärztliche Direktor machen das Angebot jetzt ebenfalls.

„Auch Feste sind ganz wichtig“, betont Disselborg. Sie plant ein großes Sommerfest, ein Weihnachtsfest mit den Kindern der Beschäftigten gab es schon. „Wir wollen mehr machen und haben viele Ideen“, sagt sie.

Die Bausubstanz in Jülich ist „sehr herausfordernd“

Die braucht sie auch, denn das Fremdeln der Beschäftigten ist wahrlich nicht ihr einziges Problem. Die Bausubstanz in Jülich sei „sehr herausfordernd“, erklärt die 47-Jährige. Groß investiert wurde lange nicht mehr. Wenn sie aus ihrem Büro im ersten Stock schaut, sieht sie auf die Patientenzimmer der Station S in dem Gebäudeteil, das zuletzt angebaut wurde – vor gut 20 Jahren.

„Es gibt viele bauliche Defizite“, sagt Disselborg. Besonders dringend ist die OP-Sanierung. Zumindest für diesen Neubau liegen mehr als fünf Millionen Euro Fördermittel bereit, die konkrete Planung hierzu steht nun an. Zudem bereiten ihr aber weitere Auflagen Sorgen, unter anderem beim Brandschutz. „In den nächsten zwölf bis 18 Monaten sind viele Bauarbeiten nötig.“

Für die Knie-Endoprothetik hat sie gekämpft

Zumindest das medizinische Konzept scheint schon jetzt aufzugehen. „Wir haben uns ganz gut sortiert“, sagt Disselborg. Wie gehabt gibt es die Innere Medizin und die Chirurgie, zudem wurde der Auftrag für die Knie-Endoprothetik mit nach Jülich genommen. Dafür hat die Geschäftsführerin gekämpft.

Auch der Auftrag für die Wirbelsäulen-Orthopädie besteht noch, doch Disselborg ist realistisch genug, um die geringen Chancen dafür zu sehen. Der Spezialist hat das Haus verlassen, zudem sind die Kapazitäten bei zwei Sälen im Zentral-OP und einem Eingriffsraum begrenzt.

Krankenhaus Jülich Radiologie
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Von zuletzt noch rund 560 Stellen in den zwei KNK-Häusern sind in Jülich jetzt rund 450 geblieben.

„Wir sollten uns auf die Grund- und Regelversorgung konzentrieren und das gut machen“, betont Disselborg – ergänzt um Knie, Hüften und die Geriatrie sowie die 24-Stunden-Notfallversorgung. „Damit könnten wir leben.“ Zudem sei Luft für Erweiterungen im Zusammenspiel der regionalen Versorger. Da sieht die 47-Jährige ihr Haus gut aufgestellt für alles, was die großen Zentren belastet – Gastroskopien etwa sowie die Behandlung von Galle und unklarem Bauch, COPD oder Lungenentzündungen.

Die Häuser haben sich kannibalisiert

Das Konzept, das sie jetzt umsetzen, hat Disselborg gemeinsam mit den Chefärzten und ihrem Controlling mitentwickelt, zusammen mit den Insolvenzexperten der Kanzlei Eckert und dem Team der Beratungsgesellschaft WMC Healthcare, einem Schwesterunternehmen ihres jetzigen Arbeitgebers HMG. Seit März jedenfalls sei das Krankenhaus „sehr viel besser ausgelastet“. Die Belegung erreiche teilweise mehr als 80 Prozent. 85 Prozent im Durchschnitt sind das Ziel.

Da macht sich bemerkbar, dass die Sanierer auf die Ein-Haus-Lösung gesetzt haben. Die zwei KNK-Häuser mit gleichem Leistungsspektrum haben sich gegenseitig kannibalisiert, hinzu kommt die Konkurrenz zahlreicher Kliniken in der Umgebung. Heute werden in Jülich 171 Betten vorgehalten, die 130 Betten von Linnich wurden komplett zurückgegeben.

Ich habe mit einem Frosch im Hals vor dem Richter gesessen.

Bis hierhin war es ein steiniger Weg. Und dabei war Disselborg von der HMG eigentlich nur als Mutterschutz-Vertretung geschickt worden. Spätestens nach vier Monaten sollte sie wieder weg sein. Doch es habe sich schnell angedeutet, „dass da mehr im Argen lag“, erinnert sie sich. So hat sie jetzt auch ihre erste Insolvenz erlebt. Als besonders intensiv sei ihr die Mitarbeiter-Versammlung im Gedächtnis, bei der sie verkündete: „Wir sind insolvent.“

Und dann war da der Termin beim Amtsgericht zusammen mit dem Generalhandlungsbevollmächtigten Dr. Mark Boddenberg. Sie habe mit einem Frosch im Hals vor dem Richter gesessen, als der sie unter anderem über die haftungsrechtlichen Aspekte belehrte, sagt sie heute: „Als Geschäftsführerin ist das ja auch eine große Verpflichtung für mich persönlich.“

Kurze Wege zum Bürgermeister

Wann ein Tag für sie ein guter war? „Wenn wir an etwas einen Haken gemacht haben“, sagt Disselborg und schmunzelt. Es dürften noch viele Haken folgen, denn das HMG-Mandat reicht bis Ende 2024, und für 2025 habe Jülichs Bürgermeister Axel Fuchs bereits eine Verlängerung angefragt.

Dass sie selbst dann noch am Ruder sitzen wird, könne sie sich gut vorstellen, sagt Disselborg. Die Aufgabe mache „richtig Spaß“. Sie schätzt die kurzen Wege zu Fuchs. Genauso wie die Arbeit mit dem Aufsichtsrat – „alles Personen, die mit dem Gesundheitswesen vertraut sind und wissen, was nötig ist“.

Allerdings könnte auch der Fall eintreten, dass die HMG ihr Know-how an anderer Stelle dringender braucht. Und wenn in Jülich die größten Baustellen angegangen sind, darf es für Julia Disselborg ja möglicherweise auch gerne wieder etwas intensiver werden…

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