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Unter FinanzierungsvorbehaltNeustart im Gesundheitswesen? Die Koalitionspläne im Fokus

Union und SPD haben fast alle Vorschläge der AG Gesundheit & Pflege übernommen. Nur wenige Punkte weichen vom Arbeitspapier ab. Die DKG sieht im Koalitionsvertrag eine „Chance für einen Neustart“. Die wichtigsten Inhalte im Überblick.

Arzt mit Kittel und Stethoskop setzt Holzwürfel mit Aufschrift 2025 auf andere Würfel mit Medizin-Symbolen
Pcess609/stock.adobe.com
Symbolfoto

Die AG Gesundheit & Pflege hat gründliche Vorarbeit geleistet. Der Koalitionsvertrag weicht auf seinen neun Seiten zum Bereiche Gesundheit und Pflege nur minimal vom AG-Papier ab. Einige zeitliche Fristen wurden jedoch gelockert.

So ist im Vertrag nicht mehr festgelegt, dass die Gesetze zur Notfall- und Rettungsdienstreform innerhalb von 100 Tagen vorliegen müssen. Auch das Bürokratieentlastungsgesetz soll nicht mehr innerhalb von sechs Monaten verabschiedet werden.

Es ist kein Geheimnis, ich hätte als Minister gerne weitergearbeitet.

Die elektronische Patientenakte (ePA) soll nun „schrittweise“ 2025 eingeführt werden. Noch-Gesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) hatte bereits auf der DMEA angekündigt, dass der ursprüngliche Zeitplan nicht eingehalten werden kann. Er zeigte sich gestern nach dem Bekanntwerden, dass das Gesundheitsressort an die Union geht, enttäuscht: „Es ist kein Geheimnis, ich hätte als Minister gerne weitergearbeitet.“

Bei dem großen „Wie“ bleibt der Vertrag weiterhin vage, während einzelne Regelungen detailliert beschrieben werden. So wird zum Beispiel bei der Aufarbeitung der Corona Pandemie eine Enquete-Kommission eingesetzt.

Zudem soll der Verbund der deutschen Kompetenz- und Behandlungszentren für hochpathogene Erreger unterstützt werden. In Mitteldeutschland soll außerdem ein länderübergreifendes Behandlungszentrum für Infektionskrankheiten entstehen.

Stabilisierung der Beitragssätze

Es fällt als Erstes auf, dass die Stabilisierung der Beitragssätze zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und der Sozialen Pflegeversicherung (SPV) gleich zu Beginn aufgenommen wurden. Es ist zwar von tiefgreifenden strukturellen Reformen die Rede, allerdings bleibt der Koalitionsvertrag an dieser Stelle hinter den Vorschlägen der AG zurück, zum Beispiel bei der GKV die nicht kostendeckenden Beiträge für Bürgergeldempfänger aus Steuermitteln vollständig zu refinanzieren.

Auch die Übernahme versicherungsfremder Leistungen durch den Bund, wie die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige und die Ausbildungsumlage, ist nicht mehr konkret genannt.

Wirklich neue Ideen, um den finanziellen Druck, unter dem die GKV und die PSV stehen, zu mildern, enthält der Koalitionsvertrag indes nicht. In der Branche herrscht Skepsis, ob der Einsatz von Kommissionen der richtige Weg ist, die maroden Systeme zu reformieren.

Pflege nicht in Bund-Länder-Arbeitsgruppe aufgeführt

Die Profession Pflege hat nach Bekanntwerden des AG-Papiers vor Kurzem beklagt, dass sie bei der Reform der Versorgungsstrukturen nicht mitgedacht wurde. Diese Forderung ist nicht nachgeschärft worden. Im Koalitionsvertrag ist nach wie vor die Pflege nicht in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe aufgeführt, die die Pflegereform erarbeiten soll.

Auch weitere zentrale Anliegen des Deutschen Pflegerates (DPR) – wie eine eigenständige Säule im Gesundheitssystem zu sein und eine verbindliche und vollumfängliche Integration in die Selbstverwaltung – sind nicht aufgenommen worden. Das Stimmrecht im G-BA hat es hingegen auch in den Koalitionsvertrag geschafft.

Die Verabschiedung der Pflege-Gesetze ist ebenfalls aufgenommen worden, jedoch steht hier statt binnen von 100 Tagen jetzt „kurzfristig“. Das lässt Interpretationsspielraum und gibt Grund zur Hoffnung, dass dies jetzt ganz schnell angegangen wird.

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Krankenhausreform wird fortgesetzt

Der Koalitionsvertrag setzt die Krankenhausreform von Karl Lauterbach fort. Gesetzliche Änderungen am Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) sollen bis Sommer 2025 umgesetzt sein, Zwischenfristen werden angepasst, die Konvergenzphase wird von zwei auf drei Jahre verlängert. Hier ist sind die Koalitionspartner dem AG-Papier gefolgt.

Neu ist, dass – neben dem GKV-Anteil zum Transformationsfonds – auch die Transformationskosten aus den Jahren 2022 und 2023 finanziell aus dem Sondervermögen Infrastruktur genommen werden. Das Deutsche Ärzteblatt spricht von einer einmaligen Unterstützung in Höhe von vier Milliarden Euro.

Im Vergleich zur ersten Version der Arbeitsgruppe wurden das Wort „bedarfsgerechte“ Krankenhäuser gestrichen, so dass nun theoretisch alle Kliniken eine finanzielle Unterstützung erhalten können.

2027 erlösneutral für alle Kliniken

Es bleibt dabei, dass die Zuweisung der Leistungsgruppen zum 1. Januar 2027 auf Basis der 60 NRW-Leistungsgruppen erfolgt, zuzüglich der speziellen Traumatologie und der InEK-Grouper, der zur Abrechnung verwendet wird.

Auch die umstrittene Vorhaltevergütung soll in zwei Schritten eingeführt werden. 2027 wird dabei für alle Kliniken erlösneutral ausgestaltet. In Bundesländern, die bis zum 31. Dezember 2024 die Leistungsgruppen zugewiesen haben, bleiben diese rechtswirksam und werden als Basis für die Vergütung ab 2026 genutzt. In NRW wird sich also an dem seit 1. April 2025 scharf geschalteten Krankenhausplan nichts für die Kliniken ändern.

Investitionen in Infrastruktur weiterhin unkonkret

Auch die restlichen Details zu Fachkliniken, Anrechenbarkeit von Fachärztinnen und -ärzten sowie Qualitätsvorgaben sind identisch zu den Angaben im AG-Papier. War im KHVVG eine Vollzeitstelle noch mit 40 Stunden definiert, sind es jetzt im Koalitionsvertrag nur noch 38,5 Wochenstunden.

Die Investitionen in Hochschulklinik- und Pflegeinfrastruktur zur energetischen Sanierung und Digitalisierung bleiben unkonkret.

Ziele für Apotheken bleiben unverändert

Der Koalitionsvertrag folgt auch hier im Wesentlichen den Empfehlungen der AG und spricht sich für ein Primärarztsystem, die Stärkung der Telemedizin sowie die Stärkung der Länder bei der Bedarfsplanung aus. Die Kassenärztlichen Vereinigungen werden verpflichtet, Termine zeitnah zu vermitteln und auch die Bagatellgrenze für Überprüfungen bleibt bei 300 Euro bestehen.

Neu ist, dass die Entbudgetierung der Fachärzte in unterversorgten Gebieten nur mehr noch „geprüft“ werden soll. Hier bleibt der Koalitionsvertrag hinter den Erwartungen der Fachärzte zurück.

Auch die Ziele für Apotheken bleiben unverändert. Der Koalitionsvertrag stärkt die Apotheken zum Beispiel im Bereich von Präventionsleistungen und entwickelt den Apothekerberuf zu einem Heilberuf.

Reaktionen aus dem Gesundheitskosmos

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sieht in dem Koalitionsvertrag eine „Chance für einen Neustart in der Gesundheitspolitik“ und blickt dem „Personal- und Politikwechsel mit großer Zuversicht entgegen“. DKG-Chef Dr. Gerald Gaß lobt die Aufnahme der dringend notwendigen Mittel zur Deckung der Finanzierungslücke aus den Jahren 2022 und 2023. Er kritisiert jedoch einmal mehr die Vorhaltefinanzierung, zu der sich die Koalitionspartner weiterhin bekennen.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) begrüßt, dass die Union wieder das Gesundheitsministerium übernehmen wird und fordert zudem eine Konzentration auf die ambulante Versorgung.

Der Verband der Universitätsklinika Deutschlands sieht im Koalitionsvertrag viele gute Ansätze und ist froh, „dass die Koalition an der Krankenhausreform grundsätzlich festhält“. Der Vorsitzende, Prof. Jens Scholz, betont aber, dass weitere Ausnahmeregelungen nur begrenzt und mit Augenmaß erfolgen dürften.

Wer soll das bezahlen?

Indes steht immer noch die Frage nach der Bezahlbarkeit der Vorhaben im Raum. Auf die Nachfrage einer Journalistin auf der Pressekonferenz antwortete der designierte neue Finanzminister im Kabinett Merz, Lars Klingbeil: „Wir haben diskutiert, nicht immer harmonisch, wo wir sparen können.“ Am Ende gab Klingbeil jedoch zu: „Vieles, was wir im Koalitionsvertrag festgehalten haben, steht unter Finanzierungsvorbehalt.“ Da lässt man sich wohl ein Hintertürchen offen.

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