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GesundheitsausschussZankapfel Vorhaltefinanzierung bei der KHVVG-Anhörung

Gestern befasste sich der Gesundheitsausschuss mit der Krankenhausreform. Intensiv wurde vor allem die Vorhaltefinanzierung diskutiert, zu der die Abgeordneten viele Fragen hatten. Auch welche Leistungsgruppen es braucht, stand zur Debatte.

Bundestagssitzung
Thomas Köhler (photothek.net)/Deutscher Bundestag
Sitzung des Deutschen Bundestages.

Die geplante Krankenhausreform stand in der öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses des Bundestags zur Diskussion. Zwei Stunden waren dafür angesetzt. Die Vielzahl der Experten und die Vorgeschichte zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) veranlassten den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Dr. Gerald Gaß, einen Tag vor der Verbändeanhörung eine „verhaltene“ Erwartungshaltung zu äußern: „Allein die Tatsache, dass man mehr als 50 Verbände und Experten in weniger als 120 Minuten Ausschusssitzung anhören möchte, zeigt den Stellenwert der Anhörung bei dieser Gesetzgebung.“ Er plädierte einmal mehr für ein aufeinander zugehen: „Nur Kompromisse können die Reform, die die Krankenhäuser dringend benötigen, noch retten.“

Allein die Tatsache, dass man mehr als 50 Verbände und Experten in weniger als 120 Minuten Ausschusssitzung anhören möchte, zeigt den Stellenwert der Anhörung.

Kompromisse scheinen jedoch angesichts der Gegenäußerung seitens der Regierung zu den Forderungen der Bundesländer, die in der vergangenen Woche erfolgt ist, in weiter Ferne. Die verspätete Gegenäußerung aus dem Hause Lauterbach fasste Gaß als „Provokation gegenüber den Bundesländern“ auf.

Viele Themen mit wenig Zeit zur Antwort

Die Anhörung zur geplanten Krankenhausreform gestern stand unter besonderer Beobachtung, denn es geht um viel – nicht nur Geld. Unter den Sachverständigen waren neben Verbänden wie der DKG, der Kassenärztlichen Bundesvereinigung oder dem Marburger Bund auch der AOK- und der IKK-Bundesverband. Aber auch Einzel-Experten wie Prof. Boris Augurzky (RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung), Prof. Jonas Schreyögg (Universität Hamburg) oder Prof. Martina Hasseler (Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften) gehörten zu den Geladenen und unterstützten die Abgeordneten bei der Einordnung der unterschiedlichen Sachverhalte.

Eins ist allen klar: Der Klinikmarkt verändert sich drastisch. Augurzky bestätigte, dass die Kliniken derzeit aufgrund der Corona-Pandemie deutlich geringere Fallzahlen hätten, was „auf der Erlösseite zu wesentlichen Einbußen“ der Kliniken führe. Er betonte, dass der Ukraine-Krieg, die Inflation und gestiegene Lohnkosten die Kosten für die Kliniken in die Höhe treiben. Die DKG bemängelte einmal mehr, dass die Vorhaltefinanzierung erst 2027 greife und viele Krankenhäuser bis dahin nicht überleben werden. „Die Krankenhäuser haben eine Kostenerlöslücke von sechs Milliarden Euro pro Jahr“, führte DKG-Chef Gaß den Abgeordneten vor Auge und forderte jetzt wirksame Maßnahmen. Die von Lauterbach eingeräumten Regelungen für 2024 und 2025 würden diese Lücke nicht decken.

Die Krankenhäuser haben eine Kostenerlöslücke von sechs Milliarden Euro pro Jahr.

Augurzky widersprach, er plädiert gegen kurzfristige Finanzhilfen und sieht geplante Regeländerungen als Schlüssel für das künftige Überleben von Kliniken. „Wenn es keine Reform gibt, wird sich diese Negativspirale fortsetzen“, erklärte er, der in Lauterbachs Regierungskommission sitzt.

Transformationsfonds

Eine Frage aus der SPD-Fraktion von Martina Stamm-Fibich an den AOK-Bundesverband richtete sich an die jüngste Forderung der AOK-Chefin Dr. Carola Reimann, die Privatversicherte an den Kosten des Transformationsfonds beteiligen will. Reimann legte noch einmal dar, dass es weder Aufgabe der Gesetzlichen noch der Privaten Krankenversicherung sei, den Transformationsfonds auszufinanzieren, sondern dies eigentlich in der öffentlichen Hand liege. Sie machte keinen Hehl daraus, dass sie die derzeitige Finanzierung – hälftig Länder, hälftig Bund und damit GKV – für den falschen Weg hält. Aber wenn dieser Weg denn so eingeschlagen werde, „dann muss auch PKV mit herangezogen werden“, erneuerte Reimann ihre Forderung. Denn schließlich mache das PKV-Klientel zehn Prozent der Krankenhausleistungen aus. Eine Möglichkeit wäre aus ihrer Sicht, Aufschläge auf Klinikrechnung zu erheben. Damit würden auch ausländische Patienten an der Finanzierung beteiligt.

Für Prof. Christian Karagiannidis, Intensivmediziner und Mitglied der Regierungskommission, ist der Transformationsfonds der „Schlüssel zur Strukturreform“. Kritik äußerte er jedoch daran, dass der Fonds Verbünde und Telekonsile fördern soll. Er regte an, dass der Fonds auch nachhaltige Bauweisen sowie den Aufbau der Integrierten Versorgungszentren unterstützen soll.

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Vorhaltefinanzierung und Entbürokratisierung

Bis hierhin schienen sich alle einig. Der größte Informationsbedarf schien beim Thema Vorhaltefinanzierung zu bestehen. Hierzu stellten mehrere Abgeordnete aus verschiedenen Fraktionen Fragen. Im Gesetzentwurf werden die Jahre 2025 und 2026 als Indexjahr genannt. Unter den Sachverständigen herrschte diesbezüglich Konsens. Die befragten Experten wie Karagiannidis oder Schreyögg sahen die im Gesetz genannten Referenzjahre kritisch, weil sie in der Zukunft liegen. Dies könnte für Kliniken Anreiz sein, die Fallzahlen im kommenden Jahr auszuweiten, um später ein höheres Vorhaltebudget zu erhalten. Das stünde dem Ambulantisierungsbestrebungen der Bundesregierung entgegen. Schreyögg empfahl als Referenzjahr 2023 oder ggf. die beiden Jahre 2023 und 2024 als Bemessungsgrundlage – wie im Übrigen auch Augurzky gegenüber der Redaktion in der letzten Ausgabe Klinik Management aktuell. Karagiannidis stimmte ebenfalls ein und ordnete ein Referenzjahr in der Vergangenheit als zielführender ein. Das würde auch Ländern zugutekommen, die sich schon auf den Weg gemacht haben in Sachen Zentralisierung und Zusammenlegung.

Die Diskussionen nutzte Gaß noch einmal dazu, auf Nachfrage des CDU-Abgeordneten Dietrich Monstadt auszuführen, dass die Vorhaltefinanzierung aus Sicht der Kliniken keinesfalls fallzahlunabhängig sei. Denn: Kliniken müssen Mindestzahlen erreichen, um die Vorhaltepauschalen überhaupt zu erhalten. Er führte aus, dass die DKG vorgeschlagen habe, echte Strukturkostenkomponenten wie die Notfallstufen des Gemeinsamen Bundesausschusses einzuführen, was bislang aber nicht aufgegriffen wurde. Diese würden es auch ermöglichen, Leistungen in Verbünden aufgeteilt an Standorten vorzuhalten. Es wäre auch im Sinne der Fachkräfteknappheit sinnvoll, hier noch einmal nachzubessern.

Eintracht herrschte auch gegenüber dem erklärten Ziel von Gesundheitsminister Prof. Karl Lauterbach, mit der Reform auch eine Entbürokratisierung anzuschieben. Diese war für viele Sachverständige wie Dr. René Rottleb aus dem Gesundheitszentrum Bitterfeld/Wolfen, IKK Regionaldirektor Richard Hummel, Dr. Peter Hoffmann vom Bündnis „Krankenhaus statt Fabrik“, aber auch für den CEO der Asklepios Kliniken, Joachim Gemmel, nicht ersichtlich. Gemmel prognostizierte sogar „Wartelisten“, wenn die aktuell vorgesehene Vorhaltefinanzierung mit dem 20-Prozent-Korridor komme. Hummel plädierte für einen wesentlich kleineren Korridor von maximal zehn Prozent, wenn das Ziel weiterhin Ambulantisierung von Leistungen sein solle. Hoffmann mahnte in diesem Zusammenhang eine bedarfsorientierte und fallzahlunabhängige Bezahlung statt einer Vorhaltefinanzierung an, die ein Etikettenschwindel sei.

Vorhaltefonds

Ebenfalls gefragt wurde nach der Idee eines Vorhaltefonds, die Augurzky bereits vor einiger Zeit aufgebracht hatte. Schreyögg ordnete diesen Fonds gestern ebenfalls als gutes Instrument ein, wenn das Geld regelmäßig und gestückelt an die Kliniken ausgezahlt wird. Dort hätte man dann den Überblick und könnte regelmäßige Zahlungen sicherstellen. Das könne den Anreiz, weniger Leistungen zu erbringen, verringern. „Andernfalls könnten Kliniken versuchen, das Budget möglichst früh auszuschöpfen.“ Schreyögg geht davon aus, dass diese Zentralisierung Bürokratie abbauen und Verhandlungskosten vor Ort ersparen würde. Perspektivisch könne dieser Vorhaltefonds aus seiner Sicht auch eine Grundlage dafür sein, fallzahlunabhängige Berechnungen vorzunehmen. Christoph Radbruch vom Deutschen Evangelischen Krankenhausverband ging grundsätzlich mit. Er wies jedoch darauf hin, dass die Entkoppelung der Fondszahlen von den Fällen nicht bedeute, dass das Budget von den Fällen entkoppelt werde.

65 Leistungsgruppen: Richtig oder falsch?

Auch die Diskussion um einzelne Leistungsgruppen bzw. die Anzahl dieser war ein Thema, das mehrfach angesprochen wurde. Glaubt man Laura Valentukeviciute vom Bündnis „Gemeingut in BürgerInnenhand“ aus der Schweiz, die für Die Linke zur Anhörung eingeladen war, waren die Leistungsgruppen, die in der Schweiz ja schon vor Jahren eingeführt wurden, ein „Schließungsinstrument“. Aufgrund entzogener Leistungsgruppen kam es in der Schweiz zu zahlreichen Prozessen, die über Jahre dauerten. Die Planung der Gesundheitsversorgung wurde ihrer Einschätzung nach damit nicht verbessert, sondern enorm destabilisiert. Sie spielte auf die Planungsunsicherheit der Kliniken in NRW an und brachte als Beispiel Dänemark an, wo die Zentralisierungsbestrebungen mittlerweile wieder rückgängig gemacht würden, weil die „wohnortnahe Versorgung durch die Zentralisierung kaputt gemacht wurde“. Sie plädierte an das Bundesgesundheitsministerium, auf die Schweiz und auf Dänemark zu schauen und aus den Fehlern zu lernen. Eine Reform hielt auch sie für notwendig. Richtig wäre aus ihrer Sicht jedoch die Wiedereinführung der Selbstkostendeckung mit demografischer Bedarfsplanung.

Das Bundesgesundheitsministerium täte gut daran, auf die Schweiz und auf Dänemark zu schauen und aus den Fehlern zu lernen.

Generell gab es vor allem aus den einzelnen Fachgesellschaften Rückmeldungen zu den Leistungsgruppen, welche es künftig bräuchte und welche nicht. Auch der Hebammenverband beklagte sich über die nicht ausreichende Leistungsgruppe 42 und zeigte sich mit der jetzigen Ausgestaltung nicht zufrieden. Zudem forderte der Hebammenverband ein Mitspracherecht in der Geburtshilfe.

Das hätte die Pflege auch gerne – ein Mitspracherecht. Sie war jedoch nicht geladen, hatte jedoch Glück, dass mit Prof. Martina Hasseler jemand ihr Fähnchen hoch hielt. So fragte SPD-Abgeordnete Stamm-Fibich, ob es Regelungen zur Pflege gebe, die im KHVVG getroffen werden sollten. „Ich bedaure sehr, dass die Pflegefachberufe im KHVVG nicht vorkommen“, antwortete die anerkannte Pflegewissenschaftlerin Hasseler. Da das Pflegekompetenzgesetz zu 80 Prozent Regelungen aus dem Bereich des SGB XI behandle, wäre es erforderlich gewesen, bestimmte Aspekte wie APNs hier im KHVVG mit aufzunehmen und generell Pflegefachpersonen bei der Entwicklung des Gesetzes miteinzubinden.

Auch die Verbände der Pädiatrie und der Psychosomatik brachten weitere Details in die Diskussion ein. Spannend wurde es bei der Nachfrage des Grünen-Abgeordneten Prof. Armin Grau bei seinem Kollegen Karagiannidis, wie die Fälle – gerade auf die fünf zusätzlichen Leistungsgruppen – zugeordnet werden könnten, die Bundesgesundheitsminister Lauterbach einführen will. Dieser gab zu, dass gerade die Leistungsgruppen Notfallmedizin und Infektiologie „herausfordernd“ seien. Für die Leistungsgruppe Infektiologie müsse die Selbstverwaltung seiner Meinung nach einen OPS-Code aufsetzen und die Notfallmedizin solle in einem ersten Schritt in allen Leistungsgruppen belassen und erst im Laufe der nächsten Jahre zugeordnet werden.

Kritik: Fehlende Bedarfsanalyse und Auswirkungsanalyse

Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion Tino Sorge brachte das Thema der fehlenden Bedarfsanalyse noch einmal aufs Tableau. Bernadette Rümmelin vom Katholischen Krankenhausverband Deutschlands (KKVD) regte an, dass es vor dem Inkrafttreten der Reform zwingend einer Bedarfsanalyse, aber auch einer Auswirkungsanalyse bedürfe. Wie soll die Reform eine bedarfsgerechte Versorgung gewährleisten, wenn keine Bedarfsanalyse vorgesehen ist? Es sei wichtig, regionale Bedarfe zu kennen und in die Zukunft antizipieren zu können. Dies sei für sie die evidenzbasierte Grundlage für die Reform.

Diese sollte nach ihrer Meinung nicht nur die demografische Entwicklung einer Region berücksichtigen, sondern müsse auch noch andere Aspekte wie Morbidität, Ambulantisierungseffekte und Topografie beinhalten. „Die geplanten Reformansätze können dann auf den Ergebnissen der Bedarfsanalyse fußend durch eine Auswirkungsanalyse überprüft werden, ob sie zielgerichtet sind und ob sie die flächendeckende Versorgungssicherheit der Bevölkerung in Zukunft gewährleisten – wie es das Reformvorhaben verspricht“, führt die Sprecherin der KKVD-Geschäftsführung aus. Sie forderte dann noch in einem dritten Schritt, eine Personalausstattung und eine entsprechende Finanzierung aufsetzen.

Die Diskussion ging noch über die hier ausgeführten Punkte hinaus. So wurde beispielsweise auch die Level-1i-Kliniken und Rechnungsprüfungen, aber auch das Thema der Ärztlichen Weiterbildung angesprochen. Dies kann auf www.bundestag.de nachgehört werden.

Wie geht es weiter?

Das Bundesgesundheitsministerium hält an seinem bisherigen Zeitplan bislang fest. Die zweite und dritte Lesung des KHVVG ist für den 18. Oktober im Bundestag geplant. Am 22. November soll das Gesetz im Bundesrat auf der Agenda stehen. Dann könnte es – sofern es nicht zum Anrufen des Vermittlungsausschusses kommt – zügig verabschiedet werden.

Bei dem derzeitigen Zwist mit den Bundesländern ist dies jedoch eher unwahrscheinlich. Würde der Vermittlungsausschuss das Gesetz mit einer Zweidrittelmehrheit ablehnen, wäre das Gesetz gescheitert. Dafür müssten jedoch auch einige SPD-geführte Länderchefs dem Gesetz widersprechen. Dann könnte das KHVVG nur noch in Kraft treten, wenn der Bundestag es mit Zweidrittelmehrheit beschließt. Das ist nahezu ausgeschlossen.

Um den Gang zum Vermittlungsausschuss zu vermeiden, hat Lauterbach noch vor Kurzem auf dem DKG-Krankenhausgipfel angekündigt, auf einige Forderungen der Länder einzugehen. Dennoch zeigt er sich bei den zentralen Forderungen der Länder wenig kompromissbereit. Auch die jüngste Gegenäußerung auf die Forderungen der Länder dürfte ihm hier nicht in die Hände spielen.

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