
Auch für Dr. Sebastian Fenger sind die Tage momentan lang. Das mag für Ärzte in Corona-Zeiten nichts Besonderes sein. Aber der Hamburger Mediziner arbeitet nicht in einem Krankenhaus. Er ist mit seiner Firma miralytik healthcare consulting GmbH auf strategische Beratung und Datenanalyse spezialisiert. „Wenn unser Gesundheitssystem dem Ansturm der Corona-Patienten standhalten soll, müssen alle Partner einer Region vorhandene Intensiv- und Intermediate Care-Kapazitäten kennen, effizient nutzen und mögliche weitere Ressourcen schnell verfügbar machen können “, erklärt Fenger. Das betreffe einzelne Kliniken und ganze Krankenhausverbünde und -konzerne, ambulante und stationäre Intensivpflege-Einrichtungen, aber auch die Kommunen, Bund und Länder.
Alle Beteiligten müssten zu jedem Zeitpunkt ganz genau wissen, wie sich die Versorgungssituation gerade darstelle. „Wir haben ein kostenloses Online-Tool entwickelt, das in wenigen Minuten in Betrieb genommen werden kann und mit minimalem Aufwand in Echtzeit gepflegt wird“, erläutert Fenger die Vorteile. „Das ist unser Beitrag zur Bewältigung der Corona-Krise.“ Und der Bedarf ist riesig: Bereits fünf Regionen in Deutschland steuern ihre Intensivkapazitäten mit diesem Corona-Monitor, Kliniken an rund 50 Standorten sind beteiligt, darunter fünf Unikliniken. „Seit dem 18. März sind wir online, schon jetzt haben wir mehr als 3000 Intensivbetten erfasst“, sagt Fenger. Täglich kämen mehrere hundert Intensivbetten dazu. Ende der Woche rechne man mit rund 4000 registrierten Betten. „Deutschlands Gesundheitssystem bereitet sich auf den Stresstest vor und bei uns wird der Fortschritt bei der Erweiterung der Intensivkapazitäten in Echtzeit sichtbar.“
Ähnlich wie ein Tsunami-Frühwarnsystem
Jeden Tag sitzen Krisenstäbe in den Kliniken, aber auch in den Landratsämtern und Stadtverwaltungen zusammen und beurteilen die Lage. Wie viele Intensivbetten stehen uns in diesem Moment zur Verfügung? Welche davon sind bereits mit COVID-19-Patienten oder anderen Erkrankten belegt? Um gemeinsam für eine ganze Versorgungsregion zu planen, braucht man einen Überblick, den keine einzige Bettenmanagement-Software derzeit bietet. „Wir versehen jedes Bett auch mit einer ärztlichen Prognose für den darin liegenden Patienten“, nennt Fenger ein Beispiel. So könne man frühzeitig abschätzen, wann man voraussichtlich wieder freie Kapazitäten habe, weil der Patient im besten Fall genesen sei. Auch epidemiologische Daten würden ins System eingespeist und analysiert. „Ähnlich wie ein Tsunami-Frühwarnsystem erkennt unser Tool, wann eine neue Welle mit Corona-Patienten auf die Kliniken zurollt.“ Und weil sich abzeichnet, dass nicht die Betten sondern vor allem das dafür benötigte Personal eine Mangelressource sein wird, werden auch diese Daten beim Corona-Monitor berücksichtigt. „Ist ein Bett gesperrt, weil ein Arzt oder eine Pflegekraft fehlt, wird das angezeigt, so dass man sich auch hier innerhalb einer Region aushelfen kann.“
Ein großes Team aus Intensiv- und Notfallmedizinern, Klinikmanagern und Datenbankspezialisten hat das smarte Online-Tool miralytik.live in kürzester Zeit aufgesetzt und entwickelt es jetzt ständig weiter. Patienten- und Mitarbeiterdaten werden nicht erfasst, damit auch datenschutzrechtlich keine Hindernisse für eine schnelle Inbetriebnahme bestehen. Es ist keine Installation notwendig – ein internetfähiger Webbrowser genügt. „Wird das Tool zuverlässig gepflegt, erleichtert es die Arbeit der Krisenstäbe enorm“, macht Fenger deutlich. „Dann wirft man einfach eine Projektion an die Wand und hat einen Überblick über die Lage in der gesamten Versorgungsregion.“ Ein umfangreiches Berechtigungsmanagement für automatisches Echtzeit-Reporting stellt sicher, dass nicht nur die Geschäftsführung, sondern z.B. auch Einsatzleitstellen und Behörden alle Zahlen kennen.
Wer das neue Instrument nutzen will, kann dies auf der Website www.miralytik.live ganz einfach tun. Nach einer schnellen Registrierung und Verifizierung legt man direkt die vorhandenen und potenziellen Intensivstationen an. Anschließend werden die Betten den Zimmern zugeordnet und mit einer Ausstattung und einem Status versehen. In wenigen Minuten entsteht so eine vollständige, virtuelle Stationssicht mit Echtzeitmonitoring. Auch z.B. Sporthallen können hier bereits angelegt werden und stehen dann als Puffer im absoluten Notfall zur Verfügung. „Das alles geht wirklich blitzschnell“, beruhigt Fenger alle, die jetzt fürchten mitten in der Krise keine Zeit dafür zu haben. Ein Uniklinikum beispielsweise, das mehr als 200 Intensivbetten habe, hätte das in knapp zwei Stunden geschafft. „Das Instrument ist auch deshalb kostenfrei, weil wir uns langwieriges Vertragsmanagement und Kompetenzgerangel zwischen verschiedenen Partnern in den Regionen jetzt nicht leisten können. Für den sehr unwahrscheinlichen Fall, dass jemand dennoch unsere Unterstützung bei der Einrichtung benötigt, stehen wir auch bei der kurzfristigen Inbetriebnahme zur Seite.“







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