
Herr Albrecht, im Februar kündigte Sequoia Capital an, 30 Millionen Euro in Avelios Medical zu investieren. Sequoia zählt zu den bedeutendsten amerikanischen Risikokapitalgebern und hat viele später enorm erfolgreiche Techfirmen unterstützt. War diese Entscheidung so etwas wie der Ritterschlag?
Christian Albrecht: Sequoias Entscheidung bedeutet für uns als junges Unternehmen sehr viel. Wenn der wahrscheinlich führende Technologieinvestor der Welt uns unterstützt und in unser Unternehmen investiert, bestätigt das unsere Arbeit. Auch, weil Sequoia uns zuvor natürlich auf Herz und Nieren geprüft hat.
Wenn der wahrscheinlich führende Technologieinvestor in unser Unternehmen investiert, bestätigt das unsere Arbeit.
Die Entscheidung Sequoias steht im Widerspruch zu Aussagen des früheren Gesundheitsministers Prof. Karl Lauterbach (SPD). Dieser hatte deutsche Krankenhausinformationsysteme (KIS) als veraltet kritisiert und den US-Konkurrenten Epic gelobt.
Anfangs war es schon schwer, von der Klinikbranche und auch von der Politik wahrgenommen zu werden. Der Fokus lag sehr auf den etablierten Herstellern, dazu zählt auch Epic. Inzwischen hat sich der Wind jedoch stark gedreht. Ein Beleg dafür ist der Besuch von Karl Lauterbach auf unserem Messestand bei der diesjährigen DMEA. Die Wahrnehmung hat sich deutlich verändert, auch dank unserer Referenzen und natürlich wegen der Entscheidung von Sequoia, uns zu unterstützen.
Wie viele Krankenhäuser konnte Avelios bislang gewinnen?
Wir haben 14 Kunden mit mehr als 70 Krankenhäusern gewinnen können, darunter fünf Universitätskliniken: die LMU München, das Universitätsklinikum Regensburg, die Medizinische Hochschule Hannover (MHH), die Universitätsmedizin Mainz und die Uniklinik Münster. Wir rechnen damit, zügig weitere Kunden gewinnen zu können, denn der deutsche KIS-Markt befindet sich in einer spannenden Phase. Viele Krankenhäuser suchen aufgrund des SAP-Rückzugs bei IS-H eine Nachfolgelösung. Von den rund 1900 deutschen Krankenhäusern brauchen vermutlich 300 bis 400 Häuser ein neues Krankenhausinformationssystem, das bietet uns eine große Chance. Schon sehr früh in dieser Umbruchphase ist es uns gelungen, einige SAP-Kunden zu gewinnen, zum Beispiel die MHH. Aktuell führen wir intensive Gespräche mit fast allen SAP-Kunden.
Wie äußert sich das in Ihren Geschäftszahlen? Wie hat sich ihr Umsatz entwickelt?
Da sich KIS-Aufträge ab einer gewissen Klinikgröße im Millionenbereich befinden, entwickelt sich unser Umsatz mit zunehmender Kundenanzahl ebenfalls sehr gut. Sie sprechen von einer Umbruchphase in der deutschen Health IT-Branche. Spielen Ihnen KHZG und die Krankenhausreform mit Ihrem grundsätzlich intersektoralen Ansatz in die Hände? Ja. Neben Problemen bei der IS-H-Ablöse verläuft auch die Umsetzung von KHZG-Projekten in bestehende KIS nicht immer reibungslos für Krankenhäuser. Das ist kein einfacher Vorgang, schon gar nicht bei jenen Systemen, die inzwischen technisch veraltet sind. Der Trend geht daher weg von den bisherigen Lösungen. Für uns ist das super, denn unser großer Vorteil ist, dass wir für diesen technologischen Umbruch keinen „historischen“ Ballast mitbringen. Wir haben da ein bisschen die Gnade der späten Geburt.
Zur Person
Christian Albrecht ist Mitgründer und CEO von Avelios Medical. Er studierte an der Universität Mannheim Betriebswirtschaftslehre und hat die School of Management der Erasmus Universität Rotterdam mit einem Master of Science in Finance und Investments abgeschlossen. Vor Avelios arbeitete Albrecht unter anderem mehr als drei Jahre bei der Unternehmensberatung McKinsey.
War Ihr KIS-Ansatz von Beginn an strategischer und konsequenter gedacht als die evolutionäre Weiterentwicklung bestehender Systeme bei der Konkurrenz?
Ich würde lügen, wenn wir uns als bessere Strategen darstellen als wir es tatsächlich sind. Als wir die Firma vor fünf Jahren gegründet haben, war es allerdings schon unser Ziel, das Thema KIS komplett neu zu denken. Am Anfang stand ein KI-Forschungsprojekt, das zu 90 Prozent daraus bestand, manuell Daten zu strukturieren, die in den heutigen Systemen nicht strukturiert vorliegen. Wir haben uns dann sehr viel mit dem Markt und mit modularen Ansätzen beschäftigt. Ein Problem tauchte immer wieder auf: fehlende Schnittstellen zu den Kernsystemen. Deshalb haben wir uns vor fünf Jahren bewusst dazu entschieden, das Thema Krankenhausinformationssystem komplett neu zu denken.
Wie groß ist der Vorteil für Sie, dass einige KIS-Lösungen der Konkurrenz technologisch veraltet und am Ende ihrer Entwicklungsmöglichkeiten angelangt sind?
Unsere Grundhypothese war immer, dass die bestehenden heutigen Systeme mit den Herausforderungen der Digitalisierung schon rein technisch nicht mehr umgehen können. Nach unserer Auffassung werden diese Systeme in spätestens fünf bis zehn Jahren an ihre Grenzen stoßen und grundlegenden Neubauten weichen müssen. Aber natürlich hat uns SAP mit seiner IS-H-Abkündigung einen großen Gefallen getan. Inzwischen müssen Kliniken nicht mehr davon überzeugt werden, dass sie das KIS wechseln müssen. Sondern nur noch davon, dass sie sich für uns als System entscheiden (lacht).
Auf der DMEA gab es Gerüchte, dass Avelios sich mit einigen Projekten bei der Umsetzung mangels vorhandener Manpower übernommen habe. Beispielsweise wurden angebliche Probleme bei ihrem Projekt an der MHH kolportiert. Wie stellt sich das aus Ihrer Sicht dar?
Aus unserer Sicht stellt sich das deutlich positiver dar. Zum einen wachsen wir als Firma, mittlerweile arbeiten mehr als einhundertzwanzig Mitarbeitende für uns. Wir haben also schon eine gewisse Größe erreicht, um größere Projekte auch umsetzen zu können. Zum anderen arbeiten wir in den großen Projekten auch mit Implementierungspartnern zusammen. Dazu zählen große Unternehmen wie Adesso, Deloitte oder WMC Healthcare, die sehr viel Erfahrung haben.
Die Frage war, wie gut Avelios mit der Umsetzung der Projekte vorankommt…
Die Projekte laufen sehr gut. An der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) haben wir im Dezember vergangenen Jahres den Zuschlag bekommen, der Kickoff für das Projekt war im März, also das Projekt läuft jetzt gerade mal fünf Monate. Die medizinische Dokumentation geht Anfang 2026 live und ist damit in weniger als zwölf Monaten projektreif. Die vollständige KIS-Ablösung ist Ende 2026 geplant, was dann in Summe gut 18 Monate sind. Oder als anderes Beispiel die Uniklinik Regensburg. Die Uniklinik hatte drei Jahre in Folge den höchsten Case-Mix-Index in Deutschland, das Projekt ist daher sehr komplex. Dort haben wir in gut einem Jahr erfolgreich fast alle Abteilungen live genommen. Das ist bezogen auf die üblichen Umsetzungszeiten an einem großen Klinikum sehr schnell. Wenn man sich andere KIS-Projekte im Markt anschaut, die von Anbietern mit mehr Mitarbeitenden umgesetzt werden, sind diese nicht schneller.
Streut die Konkurrenz aus Ihrer Sicht bösen Tratsch, um einen Newcomer im Markt klein zu halten?
Ich persönlich kenne diesen Branchentratsch nicht. Allerdings glaube ich, dass wir die Platzhirsche im KIS-Markt ein klein wenig aufgemischt haben, weil wir von unseren Kunden sehr gutes Feedback bekommen. Wir sind ein junges und wachsendes Unternehmen – da können etablierte Konkurrenten schon mal nervös werden. Um es klar zu sagen: Wenn ich auf unsere Projekte schaue, dann geht es wirklich gut voran.
Wenn ich auf unsere Projekte schaue, dann geht es wirklich gut voran.
Warum können Sie die Projekte so zügig umsetzen?
Wir haben bewusst nicht einfach heutige KIS-Lösungen in einer modernen Variante nachgebaut, sondern auf eine komplett andere Architektur mit Microservices gesetzt. Dieser Ansatz ermöglicht es uns, viel besser in bestehende Systemlandschaften reinzugehen und diese auch abzulösen. Wir haben zudem unser System standardisiert und von Beginn auf die Patientenbehandlung ausgerichtet. Anschließend schaffen wir Konfigurationsmöglichkeiten für Spezifika, die in jedem Klinikum individuell sind – wie zum Beispiel eigene Verordnungsvorlagen etc. Das funktioniert sehr gut.
Avelios Medical

Die Firma Avelios Medical wurde 2020 von Christian Albrecht, Nicolas Jacob und Dr. Sebastian Krammer in München gegründet. Die Idee zu Avelios entstand im Rahmen eines KI-Forschungsprojektes an der LMU München. Dort wurde den drei Gründern schnell klar, dass moderne Technologie wie Künstliche Intelligenz nur in digitalisierten Kliniken eingesetzt werden kann. Dafür waren jedoch technologische Grundlagen notwendig, die etablierte KIS-Lösungen zum damaligen Zeitpunkt nach ihrer Auffassung nicht oder nur ungenügend mitbrachten. Die Avelios-Macher dachten daher radikal neu: Sie schufen eine Plattform auf der Grundlage strukturierter Daten, vollständig modular und mit einer Microservice-Struktur. Diese verbindet hohe Flexibilität mit der Möglichkeit ausgefeilter Datenanalysen.
Ein Uniklinikum hat viele Kliniken und mehrere Standorte. Das ist ein riesiger Tanker, der nur langsam seine Richtung ändert. Die Abstimmung muss doch viel Zeit kosten?
Natürlich sind die Projekte im Gesundheitswesen auch für uns abstimmungsintensiv. Wenn man mit einem Universitätsklinikum mit 30 Abteilungen spricht, dann bekommt man im Zweifel auch 30 Meinungen. Wir sehen das aber auch als Chance für das Klinikum. Mit Digitalisierung, die Standardisierung mitdenkt, kann man zukünftig viel mehr rausholen. Aber es gibt natürlich sehr viele Sonderaspekte, selbst innerhalb eines Klinikums. Daher ist das schon ehrliche Projektarbeit und dauert deshalb auch 18 Monate und nicht wenige Wochen.
Haben sich auch die Anforderungen und Wünsche durch die zunehmende Digitalisierung gewandelt?
Ja. In unserer Startphase haben wir mehr über modulare Themen gesprochen, zum Beispiel die komplette ambulante Dokumentation an der LMU. Durch den von SAP ausgelösten Umbruch reden wir heute ausschließlich über komplette KIS-Aufträge. Das ist vom Umfang her eine Veränderung, passt aber sehr gut zu unserer Entwicklung. Die Diskussionen mit den Kliniken sind in den letzten eineinhalb Jahren viel strategischer geworden. Man diskutiert in einer Markterkundung, die häufig bereits den Charakter eines Produktworkshops hat, wirklich inhaltlich über das Produkt, über Funktionalitäten, über strukturierte Daten, über Workflows. Das kommt uns enorm zugute. Ich glaube, viele Krankenhäuser haben gemerkt, woran die Digitalisierung in den letzten Jahren gescheitert ist und was die realen Herausforderungen sind. In Ausschreibungen wird daher dies jetzt meist gezielter adressiert. Es dreht sich nicht mehr nur noch um standardisierte Lastenhefte.
Aktuell dreht sich alles um künstliche Intelligenz. Wie kann ein KIS-Hersteller KI sinnvoll nutzen?
Künstliche Intelligenz hat für uns eine hohe Relevanz, schließlich sind wir ja mit einem KI-Forschungsprojekt gestartet. Dennoch betrachten wir aktuelle Entwicklungen teilweise mit etwas Skepsis. Viele in der Medizin wollen das Thema umsetzen, weil es sowohl in der Prozessautomatisierung als auch in der Entscheidungsunterstützung einigen Mehrwert bietet. Allerdings lügt man sich dabei manchmal ein bisschen in die Tasche.
Was meinen Sie damit?
Bei Präsentationen auf einer Bühne kommt es gut an, wenn man in ein Mikrofon spricht und hinterher ist gleich die Dokumentation fertig. Schaut man sich jedoch die Details genauer an, ist das eigentlich nur ein einfaches Speech-to-Text-Modell. Das Problem dieser Modelle: sie erzeugen lediglich unstrukturierte Transkriptionen – im Ergebnis also nur eine große Textsammlung, die im klinischen Alltag kaum sinnvoll weiterverwendet werden kann. Hinzu kommt oft, dass der medizinische Kontext nicht verstanden, Inhalte fehlerhaft erfasst oder halluziniert werden. Es macht einen entscheidenden Unterschied, ob ein System selbstständig korrekt agiert, Kerninformationen erkennt, zuordnet, kodiert und zum richtigen Zeitpunkt bereitstellt – oder ob es lediglich unstrukturierte Gesprächsnotizen liefert, die von Behandelnden manuell geprüft und aufbereitet werden müssen. In letzterem Fall ist der Gesamtprozess nicht effizient. Wir haben daher einen anderen Ansatz. Unser ganzes System baut auf strukturiert erfassten Daten auf. Diese Daten können wir viel besser nutzen, weil wir garantieren können, dass sie zu 100 Prozent qualitativ korrekt sind. Im Kontext von KI-basierter Sprachdokumentation arbeiten wir deshalb an Speech-to-Text-to-Structure-Modellen, um eine vorstrukturierte Dokumentation bereitzustellen, die in die Datenstruktur passt und sinnvoll weiterverwendet werden kann.
Durch die Fortschritte bei generativer KI kommen Lösungen auf den Markt, die große Genauigkeit bei der Datenanalyse und bei der Entscheidungsunterstützung versprechen. Dabei liegen medizinische Daten oft nur unstrukturiert vor. Was taugen die Versprechungen?
Es ist spannend zu beobachten, wie jetzt bei neuen KI-Anwendungen immer mit der technischen Genauigkeit der Algorithmen argumentiert wird. Dann heißt es etwa, das System habe eine Genauigkeit von 92 Prozent. Nur: Was mache ich mit den restlichen acht Prozent der Fälle? Und wie erkenne ich, was wann im Hintergrund passiert oder was nicht funktioniert? Ohne strukturierte Daten ist das schwierig. „Auch wenn andere beim Thema KI mittlerweile lauter sind, weil sie den Prozess als einfach darstellen, glauben wir für den gewinnbringenden Einsatz von KI im klinischen Alltag die beste technische Basis und das modernste KIS entwickelt zu haben.“










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