
Gleich in den ersten Tagen war das Tempo hoch. Corina Naujock war noch nicht einmal drei Wochen im Amt, da wurde schon die erste neue Kooperation der Charité verkündet. Die Universitätsmedizin arbeitet jetzt, wie berichtet, noch enger mit dem Jüdischen Krankenhaus Berlin (JKB) zusammen. Genau dafür ist Naujock zum 1. Juni von der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) zur Charité gewechselt. Als Leiterin des neu geschaffenen Bereichs Klinische Kooperationen soll sie viele solcher Allianzen wie die mit dem JKB schmieden.
Die Charité sieht darin „ein erfolgsrelevantes Strategiefeld“, wie Prof. Martin E. Kreis erklärt, der Vorstand Krankenversorgung. Naujocks Bereich gehört in sein Ressort, und weil sie Ähnliches schon an ihrer vorherigen Wirkungsstätte tat, schien sie Kreis die ideale Besetzung für die neue Position.
Man muss nur die Leute an einen Tisch holen und vernünftig sprechen.
In Göttingen war Naujock die Geschäftsführung Kliniken und als solche zehn Jahre lang für das klinische Tagesgeschäft, die Klinikbudgetplanung und Kooperationen verantwortlich. Eine der Erfolgsgeschichten aus Niedersachsen ist die Allianz der UMG mit dem Grund- und Regelversorger Klinikum Hann. Münden (KHM), für die alle Beteiligten mit ausgefeilten Kooperationsvereinbarungen und vor allem großem Vertrauen die Basis gelegt haben.
Auch eine Vereinbarung mit den Krankenkassen, dass Operateure der UMG die Ressourcen der chirurgischen Praxisklinik eines Göttinger Anästhesisten für ambulante Operationen nutzen können, geht auf die 52-Jährige zurück. Im bisherigen System dürfte die UMG ein solches Modell eigentlich nicht abrechnen, doch das Arrangement entlastet den zentralen stationären OP der Uniklinik – weshalb sich eine Lösung fand. „Man muss nur die Leute an einen Tisch holen und vernünftig sprechen“, betont Naujock.
Berlin scheint ihr dafür genau der richtige Ort. Mit dem Kontakt zu Verbänden, Krankenkassen, Kostenträgern, Selbstverwaltung und Politik. Und einem Stadtstaat, in dem kurze Wege gelten. Sie kann direkt Kontakte knüpfen und Absprachen treffen.
Gemeinsam Strukturen verändern
Es sind immer ganz individuelle Kooperationen wie in Göttingen oder mit dem JKB, die ihr vorschweben. Sie denkt in viele Richtungen und schaut sich dafür in Berlin gerade intensiv den Markt der bislang 59 Plankrankenhäuser an. Wer bietet was? Mit welcher Qualität, in welcher Menge? Und wer ist mit Blick auf die medizinische Versorgung ein wichtiger Player für die Berliner Bevölkerung?
Sie will, dass Institutionen aneinander rücken und Brücken bauen – und dabei im Idealfall auch gemeinsam Strukturen verändern. „Dann wird es richtig spannend“, sagt Naujock. Wenn sich Bereiche, die wirklich zukunftsfähig sind, vergrößern oder als Alleinstellungsmerkmal ausbauen lassen und so ein klares zukunftsorientiertes Profil für ein Haus entsteht. „Wenn Partner auch bereit sind, so eine Strukturänderung mitzumachen, ist eine Zusammenarbeit besonders gut möglich.“
Zur Person

Corina Naujock (52) hat Betriebswirtschaft im Gesundheitswesen in Osnabrück studiert. Nach sieben Jahren am Universitätsklinikum Essen als Geschäftsbereichsleitung Personal und Finanzen (Vorstandsressort Pflege) und als stellvertretende Pflegedirektorin wechselte sie 2015 an die Universitätsmedizin Göttingen in die Geschäftsführung Kliniken (Vorstandsressort Krankenversorgung). Über einen Zeitraum von zehn Jahren war sie für das klinische Tagesgeschäft, die Klinikbudgetplanung und Kooperationen verantwortlich. Zudem war sie fünf Jahre lang stellvertretende Vorständin Wirtschaftsführung und Finanzen, bevor sie Ende 2023 das Regionale Gesundheitszentrum in Bad Gandersheim sukzessive aufgebaut und die dortige Geschäftsführung übernommen hat.
Angesichts der allgegenwärtigen Krankenhauskrise den Kopf in den Sand zu stecken, zu meckern und vor allem mehr Geld vom Staat zu fordern, ist ihre Sache jedenfalls nicht: „Wenn wir die marode Struktur, die wir haben, nur immer weiter bezahlen, haben wir keine Chance“, sagt sie: „Wir brauchen Innovation.“ Die will sie anstoßen, Lösungen suchen: „Da machen sich für mein Empfinden im Moment zu wenige auf den Weg.“
An der Charité hat sie dafür jetzt den Raum. Sie sieht ihre Chance, im Rahmen der Möglichkeiten „wirklich strukturell grundlegend an Verbesserungen des Gesundheitssystems beteiligt zu sein“, sagt sie: „Die Charité will in Berlin eine koordinierende Rolle einnehmen, und sie will Gesundheit und Versorgung neu denken – so ist es in ihrer ‚Strategie 2030‘ festgeschrieben.“
Naujock spielt eine wichtige Rolle dabei: „Meine Position ist ganz stark darauf ausgelegt, mit den knappen Ressourcen und den immer mehr werdenden Patienten trotzdem eine zufriedenstellende Qualität und den Zugang zur Gesundheitsversorgung in Zukunft sicherzustellen“, sagt sie: „Das kann die Charité nicht allein. Dafür suchen wir strategische Partner.“
Kooperation kann viel bedeuten
Dabei ist der Begriff Kooperationen weit gefasst. Das können Vereinbarungen mit Krankenhäusern wie dem JKB sein, aber auch Kooperationen mit technischen Anbietern für Telemedizin oder Dienstleistern. Auch eine Kooperation mit Verbünden von Hausarztpraxen ist denkbar. „Das sind Konzepte, die noch nicht bestehen, die muss man noch entwickeln“, sagt Naujock: „Das ist ein Bereich, der sehr expandieren wird in kürzerer Zeit.“
Ihr geht es vor allem darum, bestehende einzelne Teile sinnvoll miteinander zu verknüpfen. „Wir haben schon tolle Sachen, aber damit die so richtig wirkungsvoll sind, muss man sie einmal strukturieren“, erklärt Naujock: „Das dürfen keine Zufallsprodukte sein.“ Ihren neuen Bereich sieht sie als eine Art Spielwiese dafür, um innovativ zu sein.
Dem freien Denken sind im ersten Schritt keine Grenze gesetzt.
Genau diese Freiheit mag sie. Sie ist ein Grund, warum sie sich für die neue Stelle entschieden hat. Sie denkt gerne out of the Box, geht neue Wege, probiert andere Ansätze und Konzepte aus und initiiert Pilotprojekte dafür. An der Charité sei „dem freien Denken im ersten Schritt keine Grenze gesetzt“, sagt sie. Es gehört zu ihren Aufgaben, ungewöhnliche Player zusammenzubringen, intern wie extern.
Dabei bestimmen zwei Hauptkriterien den Weg – Stichwort Prävention: „Wir müssen es schaffen, dass weniger Menschen zu Patienten werden, und diejenigen, die unsere Ressourcen brauchen, müssen wir früher leiten und einordnen.“ Patienten, die die komplexen Strukturen eines Maximalversorgers nicht benötigen, sollen von vornherein an anderen Standorten Hilfe bekommen. Gelinge das nicht, „werden wir in den nächsten drei Dekaden so viele Patienten haben, dass wir sie mit unseren zur Verfügung stehenden Ressourcen überhaupt nicht behandeln können“, warnt Naujock. Digital vor ambulant, ambulant vor stationär und immer das niedrigste Level zuerst – „wir brauchen viel mehr Kaskade“, ist sie überzeugt.
Grundsätzlich hat die Universitätsmedizin schon jetzt viele Kooperationen, Vereinbarungen, Absprachen, Partner – die Größenordnung liegt zwischen 150 und 200. Naujock sucht aber ganz intensive Verbindungen, „wie bei richtig besten Freunden“, sagt sie. Verbindungen, bei denen die Standorte ganz nah aneinander rücken und dann Schritt für Schritt prüfen, wo sie Synergien nutzen können. „Zudem werden die strategischen Partner bei grundlegenden Überlegungen immer als erstes mitgedacht“, erklärt Naujock. Am Ende soll es einige davon geben – „aber auch sicherlich keine 20“. Premium-Partner gewissermaßen.
Denen bietet die Charité dann auch „attraktive Anreize, eine langfristige Partnerschaft mit uns einzugehen“, an. Beispielsweise könnten standortübergreifende Versorgungsprozesse gemeinsam abgestimmt werden, sodass Vieles unkomplizierter und schneller gehe, sagt sie: „Da muss man nicht lange telefonieren oder den richtigen Ansprechpartner suchen. Auch sind Personalrotationen oder gemeinsame medizinische Kompetenzzentren gut denkbar.“
Gemeinsame Kompetenzzentren
In den Partnerschaften, die sie knüpft, ist Naujock ein Fan von Aufteilung und intensiven Absprachen. „Jeder macht, was er gut kann – damit jeder die Ressourcen für das hat, was er gut kann“, erklärt sie – und Patienten mit schwierigen, komplexen Fällen auch direkt bei dem Versorger landen, der sie entsprechend behandeln kann. Ihre Arbeit soll die Ressourcen dafür freischaufeln.
In ihrem Modell sind die weiter eigenständigen Partner so eng miteinander verbandelt, dass sie zum Beispiel gemeinsam besprechen, welcher Standort für welchen Patienten am besten geeignet ist. Wie schon im Fall von Göttingen und Hann. Münden sowie jetzt mit dem Jüdischen Krankenhaus werden dabei auch gemeinsame Kompetenzzentren entstehen. Was zunächst nach konkreten Gebäuden oder Räumen klingt, sind virtuelle Konstrukte – zum Beispiel für Bereiche wie die Chirurgie, für die beide Partner Teams haben, die dann eng kooperieren, sich kennen, aufeinander eingespielt sind und sich auf kurzen Wegen unkompliziert absprechen.
100 Kooperationsanfragen für Leistungsgruppen
Dieser Grundgedanke gilt in beide Richtungen, gerade auch mit Blick auf die schon jetzt vollen Betten der Charité. „Wenn Patienten unsere universitäre und komplexe Struktur nicht mehr unbedingt benötigen, kann man sehr gut darüber nachdenken, ob sie nicht in einem Partnerhaus zu Ende behandelt werden können“, erklärt Naujock.
Die Suche nach solchen strategischen Kooperationen ist ein wesentlicher Teil ihrer Aufgabe – um einerseits die stationäre Krankenversorgung in Berlin sicherzustellen und keine Lücken entstehen zu lassen und andererseits ganz neue Konzepte zu suchen. Sie nennt es den „visionär-gestalterischen Teil“.
Ein bisschen Bewegung wird ja bleiben.
Darüber hinaus geht es auch um das Thema Leistungsgruppen im Zusammenhang mit der Krankenhausreform. Derzeit gibt es knapp 100 Kooperationsanfragen, weil Krankenhäuser für gewünschte Leistungsgruppen nicht alle Anforderungen erfüllen können. In den nächsten Wochen werde Charité-intern entschieden, wo es möglich und sinnvoll oder für die Bevölkerung Berlins wichtig ist, als Universitätsmedizin mit ins Boot zu gehen, sagt Naujock. Danach wird sie das Thema in den nächsten Jahren eher noch am Rand beschäftigen – „ein bisschen Bewegung wird ja bleiben“.
Seit ihrem Start in Berlin habe sie jedenfalls „das Gefühl, auf einen schnell fahrenden Zug aufgesprungen zu sein“, sagt sie. Wenn es nach ihr geht, darf es gerne in dem Tempo weitergehen.








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