
Ein Wort fällt immer wieder, wenn Corina Naujock und Roman Lovenfosse erklären, was sich da in Göttingen und Hann. Münden in den vergangenen eineinhalb Jahren so richtig mit Leben gefüllt hat: Vertrauen. Die zwei Kliniklenker haben in Südniedersachsen eine vielfältige Allianz zwischen der großen Universitätsmedizin (UMG) und dem kleinen Klinikum Hann. Münden (KHM) geschmiedet, die vor allem darauf basiert – auf dem Vertrauen eines kleinen Kreises von Entscheidern, dem Inner Circle, dass jeder sein Wort hält.
Corina Naujock ist an der UMG die Geschäftsführung Kliniken, Roman Lovenfosse ist Geschäftsführer des KHM und für die Hospital Management Group (HMG) tätig. Mit den beiden haben sich offenbar die Richtigen gefunden. Hartnäckig, unverzagt und vor allem überzeugt von der Idee, dass der Maximalversorger und der rund 30 Kilometer entfernte Grund- und Regelversorger ein perfektes Match sein können – wenn die Verantwortlichen in abgestuften Versorgungsketten denken, sich verzahnen und intensiv abstimmen, wo Patienten am besten behandelt werden.
Wir haben einfach klare Absprachen, wie es zwischen uns laufen soll.
Aktuell kooperieren die zwei Häuser auf dem Feld der Nierentransplantation, in der Intensivmedizin, der Geriatrie und der Gefäßchirurgie. Dafür gelten klare Spielregeln, fixiert in einem Kooperationsvertrag, der im September 2023 präsentiert wurde. Beide Häuser sind dabei weiter eigenständig und finanzieren ihre jeweiligen Ressourcen selbst. „Das ist unser Agreement“, betont Naujock mehrfach. Es gibt keine wirtschaftlichen Verflechtungen – an diesem Grundprinzip halten die Beteiligten von Anfang an konsequent fest. „Wir haben einfach klare Absprachen, wie es zwischen uns laufen soll“, sagt Naujock.
Das KHM hat sich dafür von der Nierentransplantation getrennt, seinem wohl traditionellsten und erlösstarken Bereich, den es seit mehr als 45 Jahren als größtes außeruniversitäres Nierentransplantationszentrum Deutschlands erbracht hat. Die Leistungen wurden gemeinschaftlich an die UMG transferiert, die den Bereich in Göttingen neu aufgebaut und im laufenden Jahr bereits 17 Nieren transplantiert hat.
Unmut und große Sorgen in Hann. Münden
Das KHM betreibt weiter seine Abteilung für Nephrologie mit allen Dialyse- und shuntchirurgischen Leistungen und übernimmt die ambulante und stationäre Nachsorge nach einer Transplantation. „Alles bleibt so für eine optimale nephrologische Patientenversorgung zwischen den Standorten eng verzahnt“, erklärt PD Dr. Dr. Gunilla Einecke, die die Sektion Nierentransplantation an der UMG leitet.
Der Weg zu diesem Übergang war steinig, vor allem auch für einen wie Prof. Dr. Volker Kliem. Der Chefarzt der Klinik für Innere Medizin/Nephrologie, Dialysezugangschirurgie und Transplantationsmedizin am KHM hat den Bereich Transplantation in Hann. Münden und das Nephrologische Zentrum Niedersachsen seit dem Jahr 2000 mit aufgebaut. Kliem war zwei Jahrzehnte unter anderem Chefarzt und Ärztlicher Direktor. Das Feld der UMG zu überlassen, hat im Haus Unmut und große Sorgen ausgelöst. Kliem wurde angefeindet, hörte bei nahezu jeder Visite Vorwürfe. „Aber es war der richtige Schritt, zum richtigen Zeitpunkt“, sagt er.

Sie tun das, weil wir das tun. Und wir tun es, weil sie es tun.
Dass Göttingen im Gegenzug weniger komplexe Aufgaben ans KHM geben und Patienten eine Versorgung an dem neuen Partnerstandort empfehlen würde, erschien vielen nicht realistisch. Warum sollten sie das tun? Ganz ähnlich hat Corina Naujock diese Frage auch auf UMG-Seite immer wieder gehört: Warum sollten wir das tun? – und sie hat geantwortet: „Sie tun das, weil wir das tun. Und wir tun es, weil sie es tun.“
Hartnäckig haben sie auf beiden Seiten immer wieder dasselbe behauptet. Dass bei einer sinnvollen Aufteilung genug Patienten für beide da sind und dass es für die nötige Abstimmung eine sehr vertrauensvolle Kooperation gibt. Sie haben Verständnis für die Kritiker gezeigt und sich dabei nie auseinanderbringen lassen. Sie waren so gut abgestimmt, dass sie immer, wenn irgendwo Zweifel aufkamen, sofort und mit guten Argumenten reagieren konnten. „Und es hat auch keinen Fall gegeben, wo wir widerlegt worden sind“, betont Naujock.

Die Transplantation lebt davon, dass man eine große Warteliste hat.
Kliem hat von Anfang an daran geglaubt und deshalb unter anderem vorbehaltlos alles dafür getan, dass die Warteliste mit den Patienten, die auf eine Spenderniere warten, nach Göttingen transferiert werden konnte. „Die Transplantation lebt davon, dass man eine große Warteliste hat“, sagt er – und das KHM hatte mehr als 500 Patienten auf der Liste, die dem Haus vertrauten. Sie von der UMG zu überzeugen, war Kliems erklärtes Ziel – „fast 80 Prozent haben wir geschafft“.
Dafür hat er alle Patienten beziehungsweise die niedergelassenen Nephrologen und Dialysezentren, bei denen sie in Behandlung sind, gemeinsam mit Gunilla Einecke kontaktiert. Einecke hat mit ihrem Team von der Klinik für Nephrologie und Rheumatologie an der UMG seit Februar 2023 alle Strukturen für das neue Zentrum aufgebaut.
Der Schulterschluss mit Kliem war mehr als eine Starthilfe. Erst sein Anruf, dann ihrer und dann ein gemeinsamer Brief – das hat die Patienten überzeugt und war obendrein etwas bislang Einmaliges: „Dass eine Warteliste in dieser Form von einem Transplantationszentrum an ein anderes gewechselt ist, hat es noch nicht gegeben“, sagt Einecke.
Keine langfristige Perspektive
Hinter all dem stand die frühe Überzeugung der Verantwortlichen in Hann. Münden, dass es für ihr Haus allein langfristig nicht reichen würde. Ihnen war klar, dass das KHM nur mit dem Nierentransplantationszentrum keine Perspektive hatte, und das bewahrheitet sich mit Blick auf die künftigen Leistungsgruppen: Durch die strukturelle Entwicklung und die politischen Entscheidungen hätte Hann. Münden die Nierentransplantation wahrscheinlich spätestens jetzt nicht mehr behalten dürfen.
Die frühe Partnersuche hat verhindert, dass es zu einer harten Konkurrenzsituation mit wahrscheinlich gravierenden Folgen für das kleine Haus kam. Stattdessen wurde vorweggenommen, was jetzt überall in der Republik Thema ist – nur, dass es in Südniedersachsen freiwillig geschah, noch ohne akuten wirtschaftlichen Druck, ohne Verbote und Vorgaben der Politik – wenn auch über lange Zeit mit vielen Auf und Abs, unzähligen Gesprächsrunden, immer wieder neuen Bestandsaufnahmen, Vertagungen und neuen Anläufen.

Wenn wir zusammen denken, ist 1 plus 1 mehr als 2.
„Und anders als bei der aktuellen Krankenhausreform geht es nicht nur um die Fokussierung spezialisierter Leistungen in eine Richtung, sondern um ein gemeinsames Austarieren einer optimalen Patientenversorgung von der Grund- und Regelversorgung bis zur universitären Spitzenmedizin“, erklärt Stefan Starke: „Viele gehen davon aus, dass, wenn sie zusammen etwas überlegen, einer der beiden verliert.“ Aber das treffe hier nicht zu: „Wenn wir zusammen denken, ist 1 plus 1 mehr als 2.“
Starke war bis vor kurzem Geschäftsführer der HMG, die im Rahmen eines Managementvertrages seit 2016 mit wechselnden Personen die Leitung des KHM stellt. Von November 2017 bis 2020 war er selbst einer der Geschäftsführer. Für die HMG und ihre Partner ist der Standort so etwas wie ein Musterhaus, für neue Konzepte, neue Ansätze. Starke hat das KHM immer begleitet, und wie Corina Naujock und Roman Lovenfosse steckt er tief drin in der Kooperation mit der UMG. Wer mit den dreien spricht, merkt schnell, wie sehr sie für die Sache brennen.
Klinikum Hann. Münden
Das jetzige Klinikum Hann. Münden (KHM) ist entstanden, als in einem Insolvenzverfahren Ende 2015 das ehemalige Nephrologische Zentrum Niedersachsen und das Evangelische Vereinskrankenhaus zusammengelegt wurden und zum Neustart einen lange vor der Insolvenz beschlossenen Neubau bezogen. Es zählt rund 600 Beschäftigte, hat 239 Planbetten, neun Fachkliniken und behandelt pro Jahr rund 8000 Patienten stationär und rund 10 800 ambulant.
Mittlerweile gehört das KHM dem Unternehmen Ortivity mit Sitz in München. Das Orthopäden-Netzwerk betreibt insgesamt 98 MVZs in ganz Deutschland, was erst mit dem KHM im Portfolio möglich wird. Der Gesellschafter um Ortivity-CEO Dr. Andreas Hartung stehe voll hinter der UMG-Kooperation, betont KHM-Geschäftsführer Roman Lovenfosse.
Die Kooperationsfelder, die sie vereinbart haben, sorgen dafür, dass der Wegfall der Nierentransplantationen ausgeglichen wird. „Es gibt viele medizinische Leistungen, die nicht unbedingt an der UMG stattfinden müssen, sondern sehr gut in Hann. Münden abgebildet werden können“, sagt Naujock. Im Rahmen der Kooperation haben die Mediziner beider Standorte die Möglichkeit, mit den Patienten gemeinsam den optimalen Behandlungsweg abzustimmen.

Das wird bislang noch völlig unterschätzt.
Für die Uniklinik verringern sich so gleichzeitig ganz konkrete Limitationen, die Prof. Dr. Michael Ghadimi ohnehin zunehmend Kopfzerbrechen bereiten. Ghadimi ist Leiter der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie und Ständiger Vertreter von Prof. Dr. Lorenz Trümper, dem UMG-Vorstand Krankenversorgung. Er warnt davor, dass auch Aufgaben wie etwa leichte Pneumonien, Urinbeutelwechsel oder Koprostasen vermehrt durch den Maximalversorger erledigt werden müssten, wenn kleine Häuser wie das KHM in der Fläche wegfallen. „Das wird bislang noch völlig unterschätzt“, sagt er – gerade, wenn die Unikliniken als Konsequenz der Krankenhausreform noch mehr und ausschließlich mit den hochkomplexen Fällen betraut werden sollen.
Gemeinsames Universitäres Gefäßzentrum Südniedersachsen
Auch deshalb ist Chirurg Ghadimi, genau wie Volker Kliem in Hann. Münden, ein erklärter Verfechter des Kooperationsmodells. Das KHM kann einen Teil des wachsenden Problems abfangen – auch mit dem neu gegründeten gemeinsamen Universitären Gefäßzentrum Südniedersachsen. Dieses Zentrum ist eine Besonderheit im Rahmen der Kooperation.
Es besteht aus einem übergreifenden Sprecher sowie jeweils einer Standortleitung. „Damit gibt ein kleines, feines gemeinsames Dach“, sagt Naujock, „aber auch hier die klare finanzielle Wand.“ Das heißt, jeder bezahlt das, wofür er die Erlöse bekommt, „und wir vermischen nichts. Das ist die Kunst dabei“.
Für uns bietet Hann. Münden letztlich zusätzliche OP-Kapazitäten.
Ein Trio ist dafür zuständig, dass die Umsetzung in der Praxis funktioniert: Dr. Gabriel Alvarez, Leiter der Angiologie am KHM, ist der Sprecher des Zentrums, Dr. Rukiye Secer und Florian Elger fungieren jeweils als Standortleitungen. Elger ist der Bereichsleiter Gefäßchirurgie der UMG und Secer Oberärztin Gefäßchirurgie der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie. Sie bilden mit weiteren Kolleginnen und Kollegen ein übergreifendes Team, das jetzt an beiden Häusern operiert. Oberärzte wie Assistenzärzte werden rotieren.
„Für uns bietet Hann. Münden letztlich zusätzliche OP-Kapazitäten“, sagt Elger. Dort werden jetzt weniger komplexe gefäßchirurgische Eingriffe, wie beispielsweise periphere arterielle Revaskularisationen, operiert, während der Hybrid-OP in Göttingen hochspezialisierten Eingriffen wie der großen endovaskulären Aortenchirurgie und der komplexen arteriellen Gefäßchirurgie vorbehalten ist. Dabei bleiben die Patienten weiter Patienten des jeweiligen Hauses, aber die Leistungserbringung erfolgt auf Basis der Kooperation.
Vorteil für die Weiterbildung
Für Elger ist das Modell eine spürbare Entlastung. Weil die Zahl der gefäßchirurgischen Abteilungen in der Region weiter sinkt, ist das Fallaufkommen in der UMG Jahr für Jahr gestiegen. „Unser Einzugsgebiet ist mittlerweile sehr groß“, sagt Elger: „Noch deutlich mehr Patienten könnten wir allein aufgrund der begrenzten Infrastruktur nicht schaffen.“
Zudem profitiert die Weiterbildung der Assistenzärzte. „Es ist ein hochattraktives Modell, dass sie an beiden Häusern mit verschiedenen Versorgungsstufen arbeiten können und so das ganze Spektrum der Gefäßchirurgie kennenlernen“, sagt Elger. Wenn sich die UMG wegen der begrenzten Ressourcen auf die Aortenchirurgie konzentriere, „wird es für Assistenzärzte zunehmend schwierig, an der UMG eine komplette Weiterbildung Gefäßchirurgie in angemessener Zeit zu erhalten, ergänzt Prof. Dr. Ingo Kutschka.
Universitätsmedizin Göttingen
Zusammen mit ihren Tochtergesellschaften hat die UMG knapp 9700 Mitarbeitende. Als einziger Maximalversorger in Südniedersachsen verfügt sie über rund 1600 stationäre und teilstationäre Betten. Jedes Jahr werden an der UMG rund 60 000 Patienten stationär und rund 220 000 ambulant behandelt.
„Durch den Verbund können wir den Weiterbildungsassistenten eine größere Routine in den operativen Verfahren vermitteln“, erklärt der Direktor der Klinik für Herz-, Thorax- und Gefäßchirurgie. Zukünftig werden im gemeinsamen universitären Gefäßzentrum Südniedersachsen sechs Weiterbildungsassistenten von sieben Fach- und Oberärzten betreut und ausgebildet.
Bis für das Zentrum alles unterschriftsreif war, mussten die Verantwortlichen einige Hürden nehmen. Oft lag der Teufel im Detail, erinnert sich Roman Lovenfosse – wie so oft in dem gesamten Kooperationsprojekt. Die Instrumente angleichen, genau wie die Implantate, Lieferanten abstimmen, ein neues Konsignationslager aufbauen und das Personal fortbilden – das alles ist nicht banal. Gemeinsam haben sie zum Beispiel die Instrumentensiebe über ganze Tische ausgelegt, um am Ende die gemeinsame Variante zu finden.

Es ist irre, was sich da für Themen auftun.
„Es ist irre, was sich da für Themen auftun, die man irgendwie regeln muss“, erklärt Lovenfosse und meint damit die vergangenen Jahre: „Aber die lassen sich natürlich alle regeln, wenn man es will.“ Erst vor kurzem wieder: Da ging es um ein Auto für UMG-Beschäftigte, die im Rahmen der Kooperation in Hann. Münden arbeiten wollen, aber in Göttingen nur Fahrrad fahren.
Es dauerte wenige Tage, bis ein Fahrzeug organisiert war, einen weiteren Tag, bis es einen Parkplatz hatte. „In anderen Kooperationen hätten sofort wieder die Kaufleute zusammengesessen und die anteiligen Nutzungskosten berechnet“, sagt Naujock, „anstatt zu sagen, wir machen das jetzt einfach.“
Für Lovenfosse sind es gerade solche Erfolge, die die Motivation hochhalten. Dass der Inner Circle stark ist, sich gegenseitig stützt, zum Beispiel, wenn die Kritiker im eigenen Haus mal wieder lauter werden. „Dann sitzt man zusammen und schöpft Kraft aus den gemeinsamen Ideen – und ist wieder überzeugt, dass man das richtige Ziel vor Augen hat.“
Expertise für Nierenersatzverfahren
Neben der Gefäßchirurgie arbeiten Göttingen und Hann. Münden auch in der Intensivmedizin und insbesondere beim Thema Beatmungsentwöhnung eng zusammen. „Ich bin dankbar, dass es Hann. München gibt, weil die Zahl der Weaning-Kliniken, die mit einer so hohen Expertise Nierenersatzverfahren anbieten, begrenzt ist“, sagt Michael Ghadimi.
Da zahlt sich das Know-how von Volker Kliem und seinem Team doppelt aus. Denn auch Ingo Kutschka setzt auf die Kapazitäten des KHM: „Für kritische Intensivpatienten aus der Herz-Thorax-Gefäßchirurgie kann es teilweise recht schwierig werden, Anschlussbehandlungen zu finden, vor allem, wenn sie gleichzeitig dialysepflichtig sind“, sagt der Herzspezialist. Oft müssen sie sehr weit verlegt werden.
700 Tage, an denen an der UMG ein Bett frei ist.
Da sind die Vorteile der regionalen Kooperation offensichtlich. Während sich Patienten und Angehörige freuen, dass die weitere Behandlung in der Nähe erfolgt, kommt es der Uniklinik entgegen, dass Hann. Münden verlässlich Patienten abnimmt und adäquat versorgen kann. So werden in Göttingen etwa Betten für die nächsten Herzoperationen oder komplexe Pankreas-Eingriffe frei.
Derzeit hält das KHM zwei seiner insgesamt zehn Intensivbetten für die UMG bereit. Perspektivisch sollen es noch mehr sein, sagt Geschäftsführer Lovenfosse. Wobei schon die zwei Betten für rund 700 Belegungstage stehen, wie Stefan Starke betont: „700 Tage, an denen an der UMG ein Bett frei ist und neue Operationen stattfinden können.“ So werde der Turnover an der Uniklinik erhöht, und gleichzeitig erhalte auch das KHM eine medizinische Aufwertung.
Bei einer durchschnittlichen Liegezeit eines herzchirurgischen Patienten von zehn Tagen bedeuten diese zwei Intensivpflegebetten die Größenordnung von 700 Tagen, „sodass wir hier beispielsweise etwa 70 Pankreas-, Ösophagus- oder Herzpatienten mehr versorgen können“, erklärt Michael Ghadimi.
Für seinen Kollegen Kutschka dürften es gerne noch mehr sein. „In der Herzchirurgie führen wir mittlerweile Wartelisten von bis zu vier Monaten – damit können wir den Patienten mit einer schweren Herzerkrankung nicht mehr gerecht werden“, sagt er: „Wir müssen diese Listen wieder verkürzen, und da ist es gut, wenn wir ausweichen können“ – wenn also zum Beispiel das KHM nach einer OP und einer intensivmedizinischen Erstversorgung in Göttingen die weitere Versorgung der Patienten in Hann. Münden übernimmt.
Das System setzt deutliche Grenzen
Allerdings setze das Gesundheitssystem der praktischen Umsetzung solch abgestufter Versorgungskonzepte vom Maximalversorger hin zum Schwerpunkt- oder Regelversorger derzeit noch deutliche Grenzen, schränkt Corina Naujock ein: „Die inhaltlich sinnvolle Verlegung in niedrigere Versorgungsstufen – wenn der Maximalversorger nicht mehr notwendig ist – wird im Rahmen des DRG-Systems nur in Ausnahmen akzeptiert. Ansonsten drohen signifikante Erlösverluste.“
Aktuell klären die beiden Häuser in einer wöchentlichen gemeinsamen Online-Visite, wann eine Verlegung medizinisch sinnvoll infrage kommt – etwa für einen Patienten, der die Kombination Weaning mit Dialyse braucht oder wenn die UMG kein freies Intensivbett mehr für den nächsten Polytrauma-Patienten hätte. Neben der Herzchirurgie geht es dabei auch um weitere Fachbereiche wie die Allgemeinchirurgie und die Anästhesie – „Hann. Münden ist in der Lage, aus all den Fächern einzelne Patienten in seine Intensivstation zu übernehmen“, sagt Naujock.
Die Innovation, die hier entsteht, lässt sich damit bei weitem nicht abbilden.
Das Denken, dass Patienten nur so lange bei einem Maximalversorger bleiben, wie sie auch die Maximalversorger-Struktur brauchen, fehle in Deutschland allerdings noch, kritisiert sie: „Da müssen wir aber hin, sonst werden wir noch schneller kollabieren als wir sowieso kollabieren.“ Auch Stefan Starke hadert mit diesen aktuellen Rahmenbedingungen: „Das hemmt massiv“, sagt er: „Die Innovation, die hier entsteht, lässt sich damit bei weitem nicht abbilden.“
Für diejenigen, die einmal in Hann. Münden sind, tun sich nach der Intensivstation unter Umständen noch weitere Möglichkeiten auf – etwa, wenn nach einem Beatmungsweaning eine geriatrische Rehabilitation ansteht. Gerade solche Versorgungsketten hatten und haben sie bei ihrer Kooperation im Blick. Und sie sind stolz darauf, dass es klappt.
Geriatrie-Wissen vervielfacht
Möglich macht das die eigene geriatrische 20-Betten-Station am Klinikum Hann. Münden. Sie wurde im Herbst 2024 unter der chefärztlichen Leitung von Prof. Dr. Christine von Arnim, Direktorin der Klinik für Geriatrie der UMG, für Hann. Münden konzipiert und aufgebaut. So kommt ihre Expertise beiden Standorten zugute. Nach Ulm und Göttingen ist es mittlerweile die dritte Geriatrie, die unter ihrer Regie entstanden ist. Leitende Ärztin der Geriatrie vor Ort in Hann. Münden ist die Geriaterin und Internistin Nadine Linnenkohl. Somit sei die Geriatrie „vollkommen eigenständig“, betont Corina Naujock: „Wir haben mit Frau Prof. von Arnim aber sozusagen das Wissen vervielfacht.“
Der Bedarf jedenfalls ist da, gerade in einer Region, die zu den Teilen Niedersachsens mit den ältesten Einwohnern zählt, und gerade auch für nephrologische Patienten und Dialyse-Patienten, die das KHM ohnehin hat. „Es ist ein großer Vorteil, wenn wir die Patienten heimatnah versorgen können und auch die Angehörigen für Besuche nicht durch die Weltgeschichte reisen müssen“, erklärt von Arnim.
Ich nehme immer wieder Ideen mit nach Göttingen.
Die Teams der beiden Häuser arbeiten mit Blick auf gleiche Qualitätsstandards zusammen und tauschen sich aus: „Wir transferieren universitäre Ansätze nach Hann. Münden“, sagt von Arnim, „und ich nehme auch immer wieder Ideen von dort mit nach Göttingen“ – und Erfolgsgeschichten wie die von der Patientin, die zum Weaning kam und dann in der Geriatrie weiterbehandelt wurde. „Wir konnten sie entlassen, und jetzt wird sie mit einem ambulanten Pflegedienst zuhause versorgt“, erinnert sich von Arnim.
Dass sie das sagt, ist für Corina Naujock die beste Bestätigung. Offenbar hat es sich gelohnt, dass sie ihre Ideen so lange so behutsam und unverdrossen und mit so viel persönlichem Einsatz verfolgt haben: „An beiden Häusern sind die Kapazitäten voll. Die kaufmännischen Personen lächeln, und die Mediziner sprechen von ‚wir‘ und meinen beide Standorte.“
Sie ist überzeugt davon, dass dafür kein in hochkarätig besetzten Runden ausgehandeltes Papier sorgt –,„sondern unsere feste, gemeinsame Überzeugung, dass es genug Patienten für die Kompetenzen unserer beiden Standorte gibt und wir es mit einem wirklichen Zusammenarbeiten schaffen, dass beide wirtschaftlich gut auskommen“.
Kein Feilschen um Case-Mix-Punkte
Deshalb konnte der Ansatz „Es muss medizinisch sinnvoll sein“ im Fokus bleiben, betont Roman Lovenfosse: „Unsere Partnerschaft ist nicht ökonomisch getrieben“ – weshalb sie in all der Zeit auch nie das Erbsenzählen angefangen haben. Um Case-Mix-Punkte zu feilschen, sei für sie nie infrage gekommen, bestätigt Naujock. Genau deshalb laufe es in vielen Kooperationen schief: „Wenn ich auf andere Häuser zugehe oder andere auf mich zukommen, wird immer als erstes gefragt, ‚wie viele Case-Mix-Punkte erhaltet ihr, wie viele bringt ihr zu uns?‘ Und dann ist die Diskussion für mich schon beendet.“
Das Ding fliegt nur, wenn wir uns vertrauen.
Sie ist der festen Überzeugung, dass eine Partnerschaft anders aufgebaut sein muss, obwohl der Weg, den sie mit den KHM-Partnern gegangen ist, ebenfalls Tücken hatte: „Ganz einfach sind auch wir nicht zusammengekommen.“ Heute kann Naujock schmunzeln, wenn sie das sagt. Es gab einige interne Skeptiker, die ebenfalls die finanziellen Fragen in den Vordergrund rückten, doch sie hat ihren Weg durchgesetzt: „Das Ding fliegt nur, wenn wir uns vertrauen“ – das war und ist ihr Credo, das sie wie ein Mantra wiederholt hat.
Im Inner Circle, zwischen Naujock, Starke, Lovenfosse, Kliem und Ghadimi, muss es darüber schnell Einigkeit gegeben haben. Und doch klingen sie manchmal, als überrasche es sie selbst immer noch ein wenig, dass sie diese funktionierende Zusammenarbeit hinbekommen haben – mit einer Win-win-Situation auf Augenhöhe. Naujock weiß sehr wohl, dass das abgedroschen klingt, doch sie wählt die Begriffe ganz bewusst.
Offizieller Antrittsbesuch bei der Politik
Gerne soll es so weitergehen. Der Antrittsbesuch, um das Modell auch der politischen Ebene in Niedersachsen offiziell vorzustellen, steht als nächstes an. Die Krankenhausreform lässt grüßen. Mündliche Informationen habe es schon gegeben, und auch die grundsätzliche Zustimmung sei bereits signalisiert worden, sagt Naujock. Richtig offiziell muss es allerdings erst noch werden. Doch das, was sie da in Göttingen und Hann. Münden jetzt schon leben, könne „ja auch für die gesundheitspolitischen Akteure nur von Vorteil sein“, ist Naujock sicher.
Derweil werde in den Häusern schon geplant, welche weiteren Kooperationsfelder es in Zukunft geben könne, sagt Roman Lovenfosse. Langfristig haben sie noch einige Projekte in der Pipeline – und im Rücken dieses offenbar wirklich unerschütterliche Vertrauen.









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