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AuszeichnungDas Uniklinikum Tübingen zeigt wie Nachhaltigkeit geht

Das Universitätsklinikum Tübingen ist Vorreiter im Nachhaltigkeitsengagement – und erhält deshalb dieses Jahr den Deutschen Nachhaltigkeitspreis. Ein Blick darauf, was in Sachen Klimaschutz im Krankenhauswesen möglich ist.

Universitätsklinikum Tübingen – Kliniken Berg
Nils Dittbrenner
Universitätsklinikum Tübingen – Kliniken Berg

Mit 68 Millionen Tonnen trägt das deutsche Gesundheitswesen etwa sechs Prozent zu den Gesamtemissionen Deutschlands bei, analysierte zuletzt das Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Am Universitätsklinikum Tübingen (UKT) wird seit Jahren viel darangesetzt, die ökologische, wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit in den Klinikumsbetrieb zu integrieren. Für dieses Engagement hat das Klinikum den Deutschen Nachhaltigkeitspreis 2024 in der Kategorie „Vorreiter der Transformation im Gesundheitssektor“ erhalten.

Das UKT setzte sich im Finale durch, „weil die Einrichtung besonders wirksame, beispielhafte Beiträge zur Transformation geleistet, damit Vorbildcharakter erworben und richtige Signale in seine Branche und darüber hinaus gesendet hat“, begründete die Jury ihre Entscheidung.

Die Auszeichnung ist eine tolle Bestätigung für unser Engagement, das Gesundheitswesen grüner und effizienter zu gestalten, ohne die Qualität der Patientenversorgung zu beeinträchtigen.

„Diese Auszeichnung ist eine tolle Bestätigung für unser Engagement, das Gesundheitswesen grüner und effizienter zu gestalten, ohne die Qualität der Patientenversorgung zu beeinträchtigen“, sagt der UKT-Nachhaltigkeitsbeauftragte Holger Diemer. Nachhaltigkeit sei fest in der Unternehmensstruktur des Uniklinikums verankert. Seit 2022 wird das Thema durch eine eigene Stabsstelle vertreten, die systematisch Maßnahmen mit allen Fachbereichen koordiniert, um CO₂, Strom oder Abfall im Klinikalltag einzusparen.

Neben Technischem Betriebsamt, Personalrat und Nachhaltigkeits-Arbeitsgruppen sorgen rund 130 „Nachhaltigkeitsbotschafterinnen und Nachhaltigkeitsbotschafter“ dafür, den Nachhaltigkeitsgedanken in allen Abteilungen und Kliniken zu verankern und neue Ideen an die Stabsstelle Nachhaltigkeit heranzutragen. „Wir wollen mit ihnen Best-Practice-Beispiele finden, die wir dann in der Breite ausrollen können“, erläutert Klimaschutzmanagerin Mareike Freund.

Klimaschutzkonzept bündelt Maßnahmen

Das Uniklinikum befindet sich mitten in dem Prozess, seine Treibhausgasemissionen bestmöglich zu erfassen und systematisch zu reduzieren. Im Rahmen eines zweijährigen Förderprojektes der Nationalen Klimaschutzinitiative (NKI) des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz wird ein umfassendes Klimaschutzkonzept erarbeitet.

Das Kompetenzzentrum für klimaresiliente Medizin und Gesundheitseinrichtungen (KliMeG) steht ihm dabei beratend zur Seite. „Das Klimaschutzkonzept ist die Formalisierung und Dokumentation von allen Maßnahmen, die wir bereits umgesetzt haben. Die Stabstelle wurde vor zweieinhalb Jahren gegründet, um das ganze Thema besser zu organisieren“, sagt Diemer, der auch stellvertretender Kaufmännischer Direktor und Leiter der Finanzen des Uniklinikums ist.

Wie umfassend das Aktionspaket ist, zeigt ein Blick in das Klimaschutzkonzept: Es enthält 62 Einzelmaßnahmen in den Bereichen Gebäude und Außenanlagen, Beschaffung, Entsorgung, Energie, Ernährung, Mitarbeitende, Mobilität, IT-Infrastruktur, Digitalisierung und Hitzeschutz.

Treibhausgas-Emissionen am Uniklinikum Tübingen 2022
Uniklinikum Tübingen (UKT)
Eine Übersicht über die Treibhausgas (THG)-Emissionen am Uniklinikum Tübingen 2022.

Gebäude, Energie und Hitzeschutz

Altgebäude sollen wirtschaftlich sinnvoll energetisch saniert werden, dafür muss die Finanzierung aber noch durch das Land Baden-Württemberg sichergestellt werden, heißt es in dem Konzept. Angedacht ist darüber hinaus hinaus, Neubauten nach den Richtlinien für energetische Standards und darüber hinaus zukünftiger Klimaveränderungen zu planen. Um extremes Aufheizen zu verhindern, sollen Neubauten gedämmt und mit energieeffizienten Kühlungsmaßnahmen, wie beispielsweise die Betonkernaktivierung, ausgestattet sein.

Im Rahmen des Contractings erhalten die Dienstleister einen Teil der eingesparten Kosten als Vergütung.

Zur exakten Erfassung der Energieverbrauchswerte in den einzelnen Gebäuden wird ein umfassendes Zählersystem aufgebaut. Inzwischen umfasst es 1801 Zähler (Stand 2023), die den Strom-, Wärme, Kälte-, Druckluft, Erdgas- und Wasserverbrauch messen. „Dadurch können wir erst die großen Stromverbräuche ermitteln, um dann Konzepte zu ihrer Verringerung zu entwickeln“, berichtet Diemer.

Das UKT arbeitet mit externen Unternehmen zusammen, die Energiesparkonzepte entwickeln und umsetzen. Im Rahmen des Contractings erhalten die Dienstleister einen Teil der eingesparten Kosten als Vergütung. „Das machen wir schon seit vielen Jahren, und das hilft auch bei der CO₂-Bilanz enorm“, betont der Nachhaltigkeitsbeauftragte. 2022 sparte das UKT in mehreren Kliniken schon insgesamt 1,452 MWh ein, insbesondere durch Optimierung der Lüftung- und Kälteanlagen, Nachrüstung von Wärmerückgewinnungsanlagen oder durch die Umstellung auf dezentrale Dampfbefeuchtung.

Strom sparen müsste das UKT als Bezieher von Ökostrom wegen der CO₂-Bilanz eigentlich nicht mehr. „Aber auch da suchen wir natürlich weiter nach Einsparmöglichkeiten, denn erstens kostet Strom Geld, und zweitens wird dadurch doch irgendwo CO₂ eingespart, wenn auch nicht direkt bei uns.“ Etwa Zweidrittel der Wärmeerzeugung für das UKT (67,8 Prozent) stammt aus einer klimafreundlichen Quelle. Hauptlieferant ist ein Biomasse-Fernheizwerk, wodurch pro Jahr 6920 Tonnen CO₂-Emissionen eingespart werden. Die restliche Wärme wird weiterhin mit fossilem Erdgas erzeugt, die von den Tübinger Stadtwerken geliefert werden.

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Um die CO₂-Bilanz im Bereich Energie weiter zu verbessern, hat das UKT rund 3100 Quadratmeter der Dachflächen mit Photovoltaik-Anlagen ausgestattet. Sie decken rund zwei Prozent des Strombedarfes des UKT. Alle Gebäude werden nach und nach auf LED-Beleuchtung umgerüstet. Allein im Jahr 2022 wurden 3807 LED-Leuchtmittel neu eingesetzt, was in Verbindung mit intelligenter Lichtsteuerung eine Ersparnis von zirka 321 MWh in dem Jahr einbrachte.

Neue Wege beim Stromsparen werden auch in der Radiologischen Klinik gesucht, um auch die Stromverbräuche von medizinischen Großgeräten wie MRTs und CTs zu reduzieren. Mit verkürzten Messsequenzen und KI gestützter Auswertung können CO₂-Emissionen beim muskuloskelettalen 1,5T MRT in erheblichen Umfang verringert und Kosten eingespart werden, ergab eine erste Studie. „Es ist gelungen, die Messzeiten zu verkürzen, indem man mit KI quasi prognostiziert, wie das Bild aussehen wird“, erläutert Diemer. „Die Messzeit beträgt dann nicht mehr drei Minuten, sondern nur noch eine.“

Gesamtbilanz der Emissionen am UKT 2022
Universitätsklinikum Tübingen
Ein Blick auf die Emissionen-Gesamtbilanz am Universitätsklinikum Tübingen (UKT) 2022.

Geplant ist in Kürze auch die Anschaffung einer großen Batterie, die Windstrom speichern kann. „Der Bereich Erneuerbare Energien eignet sich sehr gut, um CO₂ einzusparen und gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit zu verbessern“, betont Diemer. Am UKT sei es gelungen, trotz Flächenmehrung den Stromverbrauch durch diverse Maßnahmen zu senken.

Am UKT sist es gelungen, trotz Flächenmehrung den Stromverbrauch durch diverse Maßnahmen zu senken.

Seit dem letzten Sommer gibt es auch einen Hitzeschutzplan mit wirksamen Handlungsempfehlungen bei starker Sommerhitze. Mitarbeitende können hohe Hitzebelastungen an ihrem Arbeitsplatz melden und vom Arbeitsschutz überprüfen lassen, der Lösungen entwickelt. Der Hitzeschutz ist der einzige Bereich, für den das Klinikum ein eigenes Budget in Höhe von 300 000 Euro pro Jahr vorhält.

E-Mobilität, Recycling und weniger CO₂ durch Narkosegase

Dass Patienten- und Mitarbeitermobilität für die CO₂-Bilanz eine enorme Rolle spielt, ist in den vergangenen Monaten mehrfach untersucht und dargestellt worden, beispielsweise in einem ein Projekt der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin (HWR). Erhoben wurden die Treibhausgasemissionen von drei deutschen Krankenhäusern und nach den Bereichen gegliedert, in denen sie entstanden sind. In der Auswertung hat sich gezeigt, dass die meisten Treibhausgas-Emissionen in einem Krankenhaus durch die Mobilität der Mitarbeitenden sowie der Patientinnen und Patienten entstehen – durch deren An- und Abreise mit Autos also, die durch fossile Kraftstoffe angetrieben werden.

Das UKT hat gerade im Bereich Mobilität einiges unternommen, um den CO₂-Ausstoß zu verringern. Es gibt mittlerweile rund 2 000 Fahrradstellplätze auf dem Klinikumsgelände, ein Fahrradparkhaus ist in Planung. Noch in 2024 sollte ein tariflich vereinbartes Jobrad eingeführt werden, außerdem gibt es eine Mitfahr-App. Der Fuhrpark wird sukzessive auf E-Autos umgestellt, zur Flotte gehören seit 2023 auch zwei vollelektrische E-Trucks. Viele innerbetriebliche Fahrten werden mit Dienst-Pedelecs und Lastenrädern gemacht.

Das klimaschädliche Narkosegas Desfluran wird im UKT seit 2022 nicht mehr verwendet. Desfluran ist 2450-mal so klimaschädlich wie die gleiche Menge CO₂. Seit 2022 nutzt die Anästhesie deshalb das weniger schädliche Narkosegas Sevofluran.

Auch die Verpflegung am UKT ist klimafreundlicher geworden. Seit 2023 gibt es eine vegane Menülinie in den Mensen. Das erste Menü, das stationäre Patientinnen und Patienten am ersten Tag erhalten, ist seit März 2022 immer vegetarisch. Bis Ende 2023 konnten dadurch 7632 Fleischmahlzeiten eingespart werden.

Große Herausforderungen stellen sich vor allem beim Recycling, bei der Abfalltrennung und bei der Reduzierung von Restmüll, insbesondere bei medizinischen Produkten und Wäsche. Die Berufsbekleidungen von Ärzten und Pflegekräften sind bereits auf Arbeitskleidung mit Fair-Trade-Siegel umgestellt. Bei allen Neuausschreibungen sollen weitere ökologische Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt werden. In vielen Bereiche erfolgen Prüfungen, ob Einwegprodukte wieder durch Mehrwegprodukte ersetzt werden können, so Diemer weiter: Mancherorts macht es schon Sinn, das Rad wieder etwas zurückzudrehen. Die Kapazitäten wären sogar in unserer Zentralsterilisation da, aber wir brauchen erst einmal Use Cases, wo es wirklich Sinn macht.“

Erste Treibhausgasbilanz erstellt

Seine erste Treibhausgasbilanz hat das Universitätsklinikum Tübingen auf Basis der vorhandenen Daten für das Jahr 2022 erstellt. In der Summe belaufen sich die Gesamtemissionen des auf UKT 129 563 Tonnen CO₂-Äquivalente. Als Basisjahr diente das Jahr 2019, für das eine Bilanz gemäß dem GHG-Protokoll (Green House Gas-Protocol) erstellt wurde.

Treibhausgase werden nach dem GHG-Protokoll in Scopes gemessen. Im Scope 1 werden alle Emissionsquellen berücksichtigt, die direkt vom Universitätsklinikum emittiert werden, z.B. durch Narkosegase. Im Scope 2 werden die Emissionen bilanziert, die durch den Energiebezug indirekt durch das Klinikum emittiert werden, z.B. Fernwärme und Strom. Im Scope 3 werden weitere, indirekte Emissionen zusammengefasst, die in der vorgelagerten und in der nachgelagerten Wertschöpfungskette des Krankenhauses entstehen, u.a. durch Mobilität, Speiseversorgung, Entsorgung, Medikamente und Medizinprodukte.

In der UKT-Bilanz entstanden 1635 Tonnen im Krankenhaus (Scope 1). Durch eingekaufte Energie entstanden 5865 Tonnen (Scope 2). Der weit größte Teil der Treibhausgase (94, 2 Prozent) wurde aber in vorgelagerten Prozessen freigesetzt: 122 062 Tonnen berechnete das UKT als vorgelagerte Emissionen (Scope 3).

Demnach sind Medikamente und Medizinprodukte insgesamt der größte Emissionsbereich. „An den kommen wir Stand heute aber kaum ran“, resümiert Diemer. Dafür müssten Regularien her, die Hersteller den Verkauf dieser Produkte an Krankenhäusern in Deutschland nur mit Angaben zu CO2-Werten erlaubt. Zudem werde auch künftig die medizinische Indikation die Wahl eines Medikamentes oder eines Implantats bestimmen und nicht der CO₂-Wert.

Mehr ambulante Versorgung und weniger stationäre Aufenthalte bedeuteten ebenfalls einen deutlich geringeren Ressourcenaufwand.

Viel Potenzial zu weiteren CO₂-Einsparungen sieht der Nachhaltigkeitsbeauftragte aber noch bei der Patientenmobilität. „Wir bilanzieren die Patientenbewegungen am UKT mit acht Prozent aller CO₂-Emissionen, das sind 10 000 Tonnen CO₂ pro Jahr. Durch mehr Telemedizin und Digitalisierung gibt es noch viele Möglichkeiten, CO₂-Emissionen weiter zu reduzieren“, ist er überzeugt. Mehr ambulante Versorgung und weniger stationäre Aufenthalte bedeuteten ebenfalls einen deutlich geringeren Ressourcenaufwand und sollte deshalb künftig auch aus Gründen der Nachhaltigkeit stärker berücksichtigt werden.

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