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Leasingkräfte im KrankenhausLetzter Ausweg Zeitarbeit?

Dünne Personaldecke und viele Ausfälle sind Pflegealltag in Deutschland. Oft sind Zeitarbeitskräfte eine Lösung – gleichzeitig wird das Thema kontrovers diskutiert. Doch ist es möglich und sinnvoll, Zeitarbeit zu verbieten, oder gibt es Alternativen, um der Leasingspirale zu entkommen?

Personal
Anna/stock.adobe.com
Symbolfoto

Zeitarbeitsfirmen bringen personelle Entlastung in die angespannte Situation der pflegerischen Versorgung, die sich absehbar nicht verbessern wird. Denn die strukturellen Probleme dahinter bleiben und sind zum Teil hausgemacht. Das weiß auch Christine Vogler, Präsidentin des Deutschen Pflegerates (DPR): „Seit Jahrzehnten wirtschaften wir die Pflege – einschließlich der Arbeits- und Strukturbedingungen – herunter, gönnen ihr keine Handlungsautonomie, gönnen ihr keine Selbstverwaltungsstrukturen, wir gönnen ihr nichts. Und dann suchen Pflegende, die im Beruf bleiben wollen, Wege, dies zu tun, und landen bei einer Leiharbeitsfirma. Jetzt die Leiharbeit verbieten zu wollen, ist aus meiner Sicht ignorant der Situation gegenüber, warum Pflegende diesen Weg gehen.“

Vogler sieht in der Leiharbeit ein „Ventil, das wenigstens noch etwas Druck aus dem Kessel nimmt“. Natürlich wäre es besser, Arbeitsbedingungen zu schaffen, die Leiharbeit in der Pflege nicht mehr regelhaft erforderlich mache. Denn aus ihrer Sicht sind „Leiharbeitnehmer*innen in der Pflege nicht das Problem, sondern das Ergebnis unzureichender Arbeitsbedingungen und zum Teil auch fehlender Führungskompetenzen“.

Arbeitgeber in der Pflicht

Es ist typisch deutsch, dieser Krise mit einem Schrei nach staatlicher Regulierung beikommen zu wollen. Doch ist es wirklich sinnvoll, Leasing einzudämmen oder zu verbieten, oder sollten die Einrichtungen und Kliniken nicht erst einmal vor ihrer eigenen Haustür kehren? Sabine Brase weiß aus ihrer beruflichen Erfahrung bei diversen großen Kliniken, dass der Arbeitgeber sehr wohl großen Einfluss darauf hat, die Mitarbeiter ans Haus zu binden, und es nicht zwingend staatlicher Regulation bedarf.

Aus ihrer Zeit in Hessen berichtet Brase, dass nur im allergrößten Notfall mit Leiharbeitskräften gearbeitet werden musste. „Dem Klinikum ist es gelungen, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass die Pflegekräfte gar nicht in die Zeitarbeit wollten“, blickt sie zurück. Während ihrer anschließenden Zeit als Pflegedirektorin in Niedersachsen war die Personalsituation – auch aufgrund der Corona-Pandemie – aus anderen Gründen schwierig. Das Virus selbst hat viele Pflegekräfte lahmgelegt, die sich anschließend entschieden haben, den Beruf zu verlassen oder ihre Stundenumfänge zu reduzieren. Aber auch die Diskrepanz zwischen dem Erlebten und der gesellschaftlichen und politischen Wertschätzung hat Pflegekräfte dazu bewogen, ihren Beruf an den Nagel zu hängen.

Erschwerend hinzu kam dort, dass laut Untersuchungen des dip „der Arbeitsmarkt für die Pflege in der Region leergefegt“ war – und nach wie vor ist. Der harte Kampf um die verbliebenen Pflegekräfte in der Region erschwerte es zudem, Mitarbeitende in der Pflege zu finden. Für Brase war daher klar, dass der Schlüssel zum Erfolg in der Ausbildung liegt und darin, gute Arbeitsbedingungen für die Pflegekräfte herzustellen sowie ausländische Pflegekräfte anzuwerben. „Das haben wir stringent gemacht und in den Jahren 2020 bis 2022 über 120 VK aufgebaut“, erzählt sie von einem ihrer Erfolge in Niedersachsen. Es geht also, attraktive Arbeitsbedingungen auch in den Kliniken zu schaffen und dabei diejenigen im Auge zu behalten, die schon seit Langem loyal dem Haus gegenüber sind. Mitarbeiterbindung und Wertschätzung sind an dieser Stelle die Zauberwörter.

Sabine Brase
Klinikum EvB
Sabine Brase, Geschäftsführerin für den Bereich Pflege – Bildung – Zukunft des Klinikums Ernst von Bergmann.

Die Präsenz in den Medien beobachten viele Kolleg*innen und gehen dann auch in den fachlichen Austausch mit mir.

Doch wie gelingt es der umtriebigen Pflegeexpertin, genügend Bewerber*innen zu bekommen und diese auch bei sich zu halten? Brases persönliches Engagement in den sozialen Medien hat einen Teil dazu beigetragen, Pflegepersonal für die Häuser zu gewinnen, in denen sie tätig war, ist sie sich sicher. „Denn die Präsenz in den Medien beobachten viele Kolleg*innen und gehen dann auch in den fachlichen Austausch mit mir“, erzählt sie weiter. Dem Grundsatz „Tue Gutes und rede darüber“ fühlt sich die Pflegefachfrau verbunden.

So schafft es Brase immer wieder, Themen auch in den einschlägigen Printmedien zu platzieren und so auch auf die Arbeitgebermarke einzuzahlen und „immer gute Bewerbungen“ zu bekommen. Zudem findet man sie auf allen wichtigen Veranstaltungen, wie dem Hauptstadtkongress, wo sie mit ihren Followern, Kolleg*innen und Wegbegleitern ins Gespräch kam. Auch die jeweiligen Konzepte ihrer Kliniken stellte sie als Best-Practice-Beispiele vor. So hat sie es bei allen ihren Arbeitgebern geschafft, auf Leiharbeitskräfte nur in Ausnahmesituationen zurückgreifen zu müssen – nur zu absoluten Spitzen.

Es braucht Arbeitgeber*innen, die verstehen, dass Familienfreundlichkeit nicht mehr nur ein Werbegag ist.

Ähnlich wie Brase sieht auch Jenny Kuhnert, Gesundheits- und Krankenpflegerin für Intensivmedizin und Anästhesie, die Arbeitgeber in der Pflicht und hat interessante Denkanstöße für sie – nahezu alle eine Lösung für ein strukturelles Problem. Eine 4-Tage-Woche oder die 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich wären für sie ein Weg, sich als Klinik oder Pflegebetrieb für die Pflegefachkräfte interessant zu machen. „Es braucht Arbeitgeber*innen, die verstehen, dass Familienfreundlichkeit nicht mehr nur ein Werbegag ist, sondern obligat sein muss. Der Aufbau von Betriebskitas mit Betreuungszeiten, die an die Schichtdienste angepasst sind, wäre ein weiterer Schritt in die richtige Richtung“, ist sich die Berliner Pflegekraft sicher.

Unter anderem aus familiären Gründen hat Kuhnert sich 2020 gegen die Festanstellung in einer Klinik entschieden. Für sie war nicht das Mehr an Gehalt ausschlaggebend, in die Arbeitnehmerüberlassung zu gehen, sondern verlässliche Dienstpläne und selbstbestimmte monatliche Arbeitszeiten. Auch der Wegfall der ständigen Anrufe im Frei mit der Bitte, für ausgefallene Kollegen einzuspringen war ihr wichtig. Ihr fällt es jetzt leichter, auch einmal „nein“ zu sagen, da sie eben nicht mehr im festen Teamgefüge auf Station ist.

CNE-Lerneinheit zum Thema

Nutzer*innen von Thieme CNE steht unter cne.thieme.de eine in 08/2023 erschienene Lerneinheit zum Thema Leiharbeit zur Verfügung. Darin fassen Stephanie Krebs und Prof. Dr. habil. Martina Hasseler Studienergebnisse zum Thema prägnant zusammen.

Zeitarbeit: Problem und Lösung zugleich

Der Nachteil von Leiharbeit für die Beschäftigten in der freien Wirtschaft ist in der Pflege scheinbar keiner: Es winken in der Regel mehr Geld und planbare Freizeit. Daher verwundert es nicht, dass Kuhnerts Weg immer mehr Pflegekräfte beschreiten. Waren es 2014 noch rund 12 000 Leasingkräfte, die in der Pflege und klinischen Geburtshilfe tätig waren, stieg laut der Bundesagentur für Arbeit bis 2018 die Zahl um fast das Doppelte auf 22 000. Während und nach Corona ist laut Bundesagentur für Arbeit ein weiterer Zuwachs von Pflegekräften zu verzeichnen, die von der Festanstellung in die Leiharbeit gewechselt haben. Scheinbar setzt die Zeitarbeit am Kernproblem Fachkräftemangel an und bietet schnelle Lösungen.

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Auch in der Altenpflege hat sich die Zahl der zeitweisen Pflegeunterstützung in dem Zeitraum um 50 Prozent auf 12 000 erhöht. Diesen Trend findet Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) besorgniserregend und hat daher einen Antrag in den Bundesrat eingebracht. Denn Leiharbeit bringt nicht nur innerhalb des Mikrokosmos Krankenhaus „Probleme mit sich“, sondern hat häufig auch gravierende Folgen für die zu pflegenden Menschen, die gerade in der stationären Altenpflege vertraute Gesichter benötigen. Im Idealfall kennen diese ihre Situation und ihre Bedürfnisse und wechseln nicht täglich.

„Leiharbeit kann nicht das Allheilmittel sein, denn sie hilft nur kurzfristig“, ist sich DPR-Präsidentin Vogler sicher – und mit Holetschek einig. Sie gibt weiter zu bedenken, dass die ungeliebten Dienstzeiten in der Regel auch nicht über Leiharbeitskräfte abgedeckt werden würden, sondern meist von der Stammbelegschaft übernommen werden müssten. Eine daraus resultierende Spaltung in der Belegschaft der Kliniken befürchtet die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG), die zu Jahresbeginn eine Begrenzung der Leiharbeit gefordert hat – notfalls bis zum Verbot. „Dieses Verbot sehen wir als Ultima Ratio, sollten die Reformen nicht greifen“, erklärte DKG-Chef Gerald Gaß im Februar.

Springerkonzepte sind ein wichtiger Baustein für verlässliche Arbeitszeiten und damit für mehr Gesundheit und Zufriedenheit des Pflegepersonals.

Holetschek will in Bayern mit gutem Beispiel vorangehen und die „kurz vor der Insolvenz“ stehende Pflege retten. Er rühmt sich, dass er neue Ideen mit 7,5 Millionen Euro subventionieren wolle, und sieht Springerpools als innovative Lösung, um den Pflegenotstand in der Langzeitpflege zu vermindern. Ein Ministeriumssprecher erläuterte den bayerischen Vorstoß gegenüber CNE: „Springerkonzepte sind ein wichtiger Baustein für verlässliche Arbeitszeiten und damit für mehr Gesundheit und Zufriedenheit des Pflegepersonals. Sie tragen außerdem dazu bei, Leiharbeit einzudämmen, vorhandenes Personal zu halten und neues zu gewinnen.“

Keine neue Idee, aber der Vorschlag gehe in die richtige Richtung, gesteht Vogler ihm zu. Dennoch müssten den Worten nun auch Taten folgen, mahnt sie an. „Natürlich sind Springerpools eine Maßnahme von vielen, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern, aber eben auch nur eine und keine neue“, betont Vogler.

Die Politik müsse die Pflegekräfte von pflegefremden Tätigkeiten entlasten und auch Servicekräfte refinanzieren, fordert die Expertin. Neben der angemessenen Vergütung mahnt sie auch den Ausbau der Digitalisierung an, um die Pflegekräfte beispielsweise bei der Dokumentation zu entlasten. Und auch die Kliniken sieht sie in der Pflicht, neben der Etablierung von Springerpools und Ausfallkonzepten auch die Führungskompetenz in den Häusern zu stärken.

Am 16. Juni stand die bayerische Initiative zur „Eindämmung der Leiharbeit in der Pflege“ im Bundesrat auf der Agenda. Der Entschließungsantrag wurde zur weiteren Beratung in die Fachausschüsse überwiesen. Ziel des bayerischen Vorstoßes war, die Bundesregierung aufzufordern, eine Regel für die Gleichbehandlung von Stammpersonal und Leiharbeitskräften in der Pflege zu finden.

Auch die Pflegekammer NRW beschäftigte sich unlängst mit dem Thema Leiharbeit und hat ein Positionspapier zum Thema „Leiharbeit in der Pflege: Ausdruck eines krankhaften Systems“ veröffentlicht. Zwölf Punkte sieht die Kammer als wichtig, um die Situation in der Pflege mittel- und langfristig zu entschärfen. Dazu zählen u.a. die Etablierung alternativer Ausfallsysteme, Mindeststandards und Qualitätssicherung für Leiharbeit in der Pflege und eine strukturierte Einarbeitung.

Die Pflegekammer Rheinland-Pfalz hat bereits im Frühjahr ebenfalls ein Positionspapier zum Thema veröffentlicht, in dem sie folgende zehn Maßnahmen vorschlägt: Verbesserung der Personalsituation, Ausbildungsoffensive, Mitarbeiter der Stammbelegschaft belohnen, Flexibilität, Kooperation, Personalbindung, Umstellung von Dienstplänen, Übergabeprozesse optimieren, Regulierung der Leiharbeitsanbieter und Reform der Abrechnung.

Ich pflege wieder, wenn...

All die strukturellen Probleme sind bekannt, die Zeitarbeit nötig machen. Spätestens seit der Bremer Studie „Ich pflege wieder, wenn...“ aus dem vergangenen Jahr sind die Beweggründe, aus der Pflege auszusteigen, klar: selbstbestimmte und flexible Arbeitszeiten, verbindliche Dienstpläne ohne lästige Anrufe, aber auch Wertschätzung für die Arbeit, vor allem von der Führung – so wie bei Jenny Kuhnert. Die Analyse hat zudem ergeben, dass mindestens 300 000 Vollzeit-Pflegekräfte zur Verfügung stünden, wenn sich die Arbeitsbedingen verbessern würden.

Doch wie soll es gehen und wer ist dafür verantwortlich, eine zeitgemäße Work-Life-Balance auch in der Pflege zu garantieren, um die Beschäftigten zu motivieren? Am Ende sind beide Seiten gefragt: Politik und Arbeitgeber. „Um den Einsatz von Leiharbeitnehmern so minimal wie möglich zu halten und einen konstanten eigenen Personalstamm aufzubauen, bedarf es seitens der Arbeitgeber Investitionen in die innerklinischen Strukturen“, löst Brase einen Teil des Rätsels auf.

Aber auch die Politik darf sich nicht auf ihren Absichtserklärungen ausruhen, sondern es muss sich spürbar endlich etwas verändern. Ein politischen Gesamtkonzept ist notwendig, auf das sich die Arbeitgeber dann auch verbindlich verlassen können, beispielsweise was die Refinanzierung von festangestelltem Personal angeht. Denn Leiharbeit ist ein Thema, das am Ende das ganze Gesundheitssystem und damit die gesamte Gesellschaft betrifft.

Erstmalig erschienen inCNE.Pflegemanagement Ausgabe 4/2023.

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