
Wenn Jörg Noetzel den Verhandlungsstand zur Krankenhausplanung in Nordrhein-Westfalen beschreiben soll, muss er nicht lange überlegen. „Momentan warten alle noch ab“, sagt der Medizinische Vorstand der Mühlenkreiskliniken (MKK): „Doch im Laufe des Jahres dürfte es richtig spannend und wahrscheinlich auch deutlich härter werden.“
Für die Verantwortlichen der Krankenhäuser im bevölkerungsreichsten deutschen Bundesland geht es um nicht weniger als die Frage, welche Leistungen ihre Kliniken künftig noch erbringen dürfen. Oft ist das eine existenzielle Frage. Damit nimmt Nordrhein-Westfalen seit dem vergangenen Jahr vorweg, was bald schon republikweit geklärt werden muss. Wie läuft das bisher? Wo hakt es? Was bedeutet es für die Mühlenkreiskliniken? Im Gespräch mit kma zieht Jörg Noetzel eine erste Zwischenbilanz.
Es entstand ein umfangreiches Tabellenwerk
Was bisher geschah, spielte sich nahezu ausschließlich zwischen den einzelnen Krankenhäusern und den Krankenkassen ab. Die Kliniken bewarben sich um Leistungsgruppen und listeten dafür haarklein auf, dass sie die jeweiligen Bedingungen erfüllen. Geräte, Personal, Kooperationsverträge – es entstand ein umfangreiches Tabellenwerk, das schließlich auf einer speziell dafür geschaffenen Plattform hochgeladen wurde. „Das war ein gewaltiger Aufwand“, erinnert sich Noetzel. Doch der habe sich am Ende gelohnt, „weil wir hiermit alles wirklich systematisch bis ins kleinste Detail erfasst haben“.
Zur Person
Jörg Noetzel ist seit August 2021 Medizinischer Vorstand der Mühlenkreiskliniken (MKK) mit Hauptsitz im nordrhein-westfälischen Minden. Spätestens im Herbst 2023 wird der 60-Jährige als Medizinischer Geschäftsführer ans Klinikum Darmstadt in Hessen wechseln.
Der gebürtige Braunschweiger ist verheiratet und hat zwei Kinder. Nach seinem Medizinstudium an der Freien Universität Berlin sowie seiner Anerkennung als Facharzt für Chirurgie absolvierte er berufsbegleitend an der Fachhochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin einen Studiengang im Klinikmanagement. Seine ärztliche Promotion schloss er an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen an. Noetzels Laufbahn im Klinikmanagement begann 2001 am Robert-Bosch-Krankenhaus als Leiter der Stabsstelle Medizincontrolling sowie Referent des Ärztlichen Direktors. Nach leitenden Funktionen an Kliniken in Heidelberg und Stuttgart ist er seit 2013 als Medizinischer Geschäftsführer tätig.
Seitdem haben die Kassen schon mehrfach ihr Votum an die Häuser zurückgespielt. Grundlage sind Fallzahl-Prognosen des Landes. Die Kliniken erfuhren so, für welche Leistungsgruppen sie in welchem Umfang vorgesehen waren und welche Zahlen für die mitbewerbenden Häuser galten. Sie konnten reagieren, widersprechen und für ihre Positionen argumentieren – vielfach in individuellen Videokonferenzen mit den Krankenkassen.
Wenn bei einem Haus aufgestockt wurde, musste bei anderen reduziert werden.
„Auf diese Weise haben wir uns angenähert“, sagt Noetzel. Wer hohe Fallzahlen für eine Leistung zugesprochen bekam, konnte sich seiner Sache trotzdem nicht sicher sein – bis zum mittlerweile vierten Kassen-Votum veränderten sich die Zahlen immer wieder. „Wenn bei einem Haus aufgestockt wurde, musste bei anderen reduziert werden“, erklärt Noetzel.
Das bisherige Verfahren erlebt der MKK-Vorstand als „sehr offen und voll transparent“. Die Kostenträger seien „sehr kommunikativ“ und auf Annäherung und Ausgleich bedacht. Dieser Ansatz habe auch das bisher einzige direkte Aufeinandertreffen der Klinikverantwortlichen bestimmt. Diese regionale Planungskonferenz fand im März in Dortmund statt, wo Vertreter aller Kliniken in Ostwestfalen zusammenkamen.
Noetzel erwartet „eine enorme Konzentration“
Bei dem Termin riefen die Kostenträger ihre Planung für einzelne Leistungsgruppen auf und sammelten die Stellungnahmen der Häuser ein. Dabei wurde ohne Diskussionen akzeptiert, wenn jemand mit der Planung nicht einverstanden war. Die Konferenz sei allerdings auch noch keine Verhandlung gewesen, sondern eher eine Lesung, habe ein Teilnehmer betont, erinnert sich Noetzel. Positionen wurden aufgenommen, unstrittige Bereiche gewissermaßen abgehakt, viele andere mit dem Vermerk „Dissens“ versehen.
Dann wird es spannend.
Das Ergebnis werden die Kassen Mitte Mai an die Bezirksregierung weiterreichen, die voraussichtlich versuchen wird, die Leistungsgruppen ohne Konsens weiter zu reduzieren. Überall, wo dann weiter keine Einigung erzielt ist, wird am Ende das Land eine Entscheidung treffen müssen. „Dann wird es spannend“, prophezeit Noetzel: „Wenn viele Leistungen wegfallen und Häuser zum Beispiel die Chance auf große Krebsoperationen verlieren, werden sie gezwungen sein, miteinander zu verhandeln und eventuell neue Kooperationen einzugehen.“ Noetzel erwartet „eine enorme Konzentration“.
Bündnisse mit weiter entfernten Kliniken
Die hängt entscheidend von einer weiteren Größe ab. Die Leistungsgruppen werden in Planungsbereichen vergeben – von den einzelnen Landkreisen über sogenannte Versorgungsgebiete bis hin zur Regierungsbezirksebene. Beispiel Endoprothetik: In dem Versorgungsgebiet, zu dem auch die MKK zählen, haben sich 19 Häuser dafür beworben – aber nur fünf sollten sie beim damals ersten Planungsstand künftig ausführen dürfen. Bei der Revisionsendoprothetik ist die Situation ähnlich.
„Je größer der Planungsbereich ist, desto enger wird es für einzelne Häuser und desto stärker dürfte eine in diesem Bereich zu erwartende Konzentration und damit auch das Interesse an neuen Kooperations-Netzwerken wachsen“, ist Noetzel überzeugt. Neben der bislang schon vielfach praktizierten Zusammenarbeit benachbarter Häuser dürften dann auch Bündnisse mit weiter entfernten Kliniken in den Fokus rücken.
Komplexe Behandlungen nicht „filetieren“
Auch die Mühlenkreiskliniken werden am Ende zumindest konzernintern Leistungen abgeben müssen – davon geht der Vorstand aus, „und das ist auch okay“, sagt Noetzel. Von einigen Bereichen allerdings wird er sich nicht widerspruchslos trennen. „Wir sind dabei, den Kassen zu erklären, warum das an der einen oder anderen Stelle aus Versorgungsgründen keine gute Entscheidung wäre“, betont Noetzel.
Gerade mit Blick auf komplexe Tumor-Behandlungen hänge alles zusammen. „Da einen wichtigen Baustein zu entfernen, reißt das Behandlungsspektrum auseinander und ist aus medizinischer Sicht wenig sinnvoll“, erklärt Noetzel. Es müsse eher darum gehen, komplexe Behandlungen zu konzentrieren, statt sie zu „filetieren“.
Es ist ein Pionierverfahren, ein guter Ansatz, und es ist spannend, dabei zu sein.
Spätestens wenn es so weit ist, dürfte sich auch das jetzt noch abwartende Verhalten der Kliniken ändern. Noch biete es sich nicht an, gegen die anderen zu argumentieren, „doch, wenn wir mehr wissen, wird es wahrscheinlich härter“, sagt der MKK-Vorstand. Er erwartet das „im Laufe des Jahres“.
► Bund darf nicht in Krankenhausplanung eingreifen
Noetzel selbst will diesen Prozess noch so weit wie möglich begleiten. Seit Mitte April ist klar, dass der Klinikmanager als Medizinischer Geschäftsführer ans Klinikum Darmstadt in Hessen wechseln wird. Dann müssen bei den MKK in Minden andere übernehmen. Noetzel jedenfalls ist ein Fan der Reform. Ihren Initiator, Nordrhein-Westfalens Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, bezeichnet er als konsequent und mutig. „Es ist ein Pionierverfahren, ein guter Ansatz, und es ist spannend, dabei zu sein“, sagt Noetzel.
Stimmt die Unternehmensstrategie noch?
Die Mühlenkreiskliniken hätten die Planung von Anfang an sehr ernst genommen, betont er. Entwicklungen wurden umfangreich simuliert, zudem wurde schnell rechtliche Begleitung gesucht. Und Noetzel hat viele in den MKK-Häusern eingebunden, insbesondere die Chefärztinnen und Chefärzte. „Wenn wichtige Bereiche wegfallen würden, geht es nicht nur um das Fallspektrum einzelner Häuser, sondern unter Umständen um das Gesamtgefüge – hier geht es um die langfristige Versorgungsperspektive, und da müssen wir alle gemeinsam argumentieren.“
Das Verfahren zwinge die Verantwortlichen, sich noch intensiver mit ihrer Unternehmensstrategie auseinanderzusetzen. Zudem seien dadurch erstmals auch viele Zahlen der Wettbewerber bekannt. „Das ist wie eine Gebrauchsanweisung – wir wissen jetzt schon, wo wir demnächst mit den Kostenträgern verhandeln und eventuell mit anderen Häusern mehr als bisher kooperieren können und müssen“, sagt Noetzel. Er sieht auch einen guten Anlass, „sich als Unternehmen selbst kritisch zu hinterfragen“ – und zu diskutieren, von welchen Leistungen man sich sinnvollerweise trennen könnte.
Lasst NRW erst einmal machen, und nutzt die gesammelten Erfahrungen dann für Berlin.
Manch eine politisch bislang schwierige Entscheidung falle jetzt aufgrund der kommenden Reform womöglich leichter, weil eine solche Entscheidung durch von außen definierte neue Anforderungen neu getroffen werden müsse – „schließlich steht dahinter der politische Wille des Landes und auch später des Bundes zu einer sinnvollen Konzentration“.
Auch deshalb hat der MKK-Vorstand einen klaren Rat an die politischen Entscheider im Bund: „Lasst NRW erst einmal machen, und nutzt die gesammelten Erfahrungen dann für Berlin. Anschließend gibt es eine Konvergenzphase, und alles wird sich finden.“
Allerdings: So sinnhaft ihm die kommenden Reformen auch erscheinen, „viele Kliniken befinden sich jetzt in einer akuten Notlage“, mahnt Noetzel. Noch vor der kommenden Reform seien daher schnelle Hilfe und beherztes politisches Handeln erforderlich, „damit am Ende die für die Versorgung erforderlichen Häuser die angedachten Reformen auch noch erleben“.






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